Zum Buch:
Vier Migrantenjungs träumen von der Zukunft. Die Gegenwart ist eher mies: Sie wohnen im Heidelberger Emmertsgrund, einer dieser Hochhaussiedlungen im Grünen, gebaut mit den besten Absichten, aber dem üblichen Ergebnis, das heißt vernachlässigt, heruntergekommen, ohne Bäume oder Aufenthaltsorte außer dem Platz vor dem Edeka – Migrantengetto eben. Sie sitzen im schattenlosen Weinberg und werfen Steine in die Luft. Bis Fatih die Idee hat: Was wäre, wenn es einen Proberaum für Zukünfte gäbe? Man zahlt für 10 Minuten, loggt sich ein und sieht sich eine Zukunft an, die man, falls sie gefällt, dann kauft. Sehr gute Idee, finden alle, wissen aber auch, dass für sie vermutlich nur „Kackzukünfte“ angeboten werden …
Damit beginnt Sasa Stanisics Band mit dem umwerfenden Titel, und genauso umwerfend sind die darin versammelten Erzählungen, die, wie der Autor auf dem Vorsatz mahnt, „bitte der Reihe nach“ zu lesen sind.
Und so reist man vom Emmertsgrund in Heidelberg zu der träumenden türkischen Putzfrau nach Wien und in die Welt des Justiziars, der es einfach nicht schafft, seinen Sohn beim Memory zu schlagen, weiter nach Helgoland, wo der Protagonist zwar noch nie war, aber von seinem Autor gleich zweimal hingezwungen wurde, zum Grab des Ehemanns der titelgebenden Witwe, auf einen Hochsitz, auf dem der Protagonist zum Schriftsteller wird, und zu einigen anderen Orten mehr, bis man schließlich wieder im Emmertsgrund ankommt, etwas erschöpft, aber rundum glücklich.
Denn Sasa Stanisic stellt in seinen klugen Erzählungen mit gewohntem Witz und gewohntem Ernst die Sprache auf den Kopf und macht sie damit in all ihrer Schönheit sichtbar, verwandelt schnodderiges „Migrantendeutsch“ gekonnt in große Literatur und gibt erfrischende Einblicke in den Reichtum der Sprache und die Vielfalt literarischer Formen.
Bitte dringend lesen – ob auf Helgoland, auf Hochsitzen, am Strand oder auf der Couch – denn Möchte die Witwe angesprochen werden, platziert sie auf dem Grab die Gießkanne mit dem Ausguss nach vorne ist einfach ein unglaublicher Genuss!
Irmgard Hölscher, Frankfurt a.M.