Zum Buch:
Das Verhältnis von Nähe und Distanz durchzieht diesen ebenso feinfühligen wie direkten Roman auf allen Ebenen: zunächst im Miteinander von Jupiter und Juno. Jupiter ist im fortgeschrittenen Stadium an MS erkrankt und nur an guten Tagen in der Lage sich einigermaßen selbstständig in der Wohnung zu bewegen. Die meiste Zeit verbringt er in seinem Zimmer, durch dessen Glastür Juno den schwachen Schein seines Ipads erkennen kann. Juno, Erzählerin des Romans, verbindet eine starke emotionale Nähe mit Jupiter, die Aufgaben, die sie in Folge der Krankheit übernehmen muss, vom Runterbringen des Mülls über die Abgabe der Rezepte bis hin zum wütenden Aufschrei angesichts der fehlenden Einstiegshilfe zum ICE, erscheinen als gemeinsame, auch wenn sie von Juno organisatorisch allein getragen werden müssen. Dieses Verhältnis scheint also zunächst durch ihre Nähe bestimmt zusein, bis hin zus Symbiose, in der der eine Körperteil die fehlende Agilität eines anderen ausgleichen muss Andererseits finden ihre Leben getrennt statt, direkt nebeneinander.
Die Beweglichkeit zwischen den beiden ist so weit eingeschränkt, dass sie auch für den Roman nur eine kreisende Bewegung erzeugen kann, wie die der gleichnamigen Planeten. Doch wie Juno in der Mythologie kann auch die Erzählerin durch Wolken und Betrugsversuche sehen: in der Mythologie sind es die des Jupiters, hier sind es die fremder Personen. Sie tauchen als Instagramprofile weißer reicher Männer mittleren Alters auf. Ihren kruden, zuckrigen und unzusammenhängenden Liebesgeständnissen und -angeboten antwortet Juno, allein in ihrem Zimmer, in ihren von Schlaflosigkeit heimgesuchten Nächten. Das bringt einen anderen, kürzen Rythmus in die Erzählung, ähnlich der Auftritte Junos mit ihrem Performance-Ensemble. Von Junos Antworten schnell verwirrt und abgeschreckt, versiegen die Gespräche meist nach wenigen Zeilen. Bis auf einen: Benu aus Nigeria findet Junos Antworten lustig. Nachdem die Scam-Fassade schnell gefallen ist, entwickelt sich für beide überraschend eine Freundschaft, die sich nur schwer einordnen lässt. Das Verhältnis von Nähe und Distanz erscheint hier ähnlich verschoben: tagtäglicher Kontakt, aber einerseits bestimmt durch die krasse Differenz ökonomischer und sozialpolitischer Verhältnisse und andererseits durch die stets greifbare Tatsache, dass ihr Verhältnis auf beidseitigem Lügen beruht.
Es ist das besondere Talent Martina Hefters, dass diese Rahmenhandlung kein Kammerspiel oder eine Stellvertreterfabel einleitet. Schon in ihrem Gedichtband In den Wald gehen Holz für ein Bett klauen (kookbooks, 2020) hat sie gezeigt, das sie ein Gespür dafür hat, was an großen politischen Themen, dort etwa Lieferketten, hier Postkolonialität oder Care-Arbeit, persönlich und intim ist. Einfühlsam und genau ist Hefters Schreiben. Stilistisch kommt einem das mitunter fast zu einfach vor. Hefters Schreiben kommt so schlicht daher, dass sich erst mit einem Innehalten und genauerem Hinsehen erschließt, wie die kleinen, alltäglichen Momente des Romans sich unmerklich verdichtet haben und den Roman motivisch wie strukturell zusammenhalten. Gerade diese vorgebliche Einfachheit machen ihre Texte, Prosa wie Lyrik, zu großer Erzählkunst.
Theresa Mayer, Frankfurt a.M.