Statt Emotionen auf ein allgemeingültiges Prinzip zu reduzieren, richtet Wittgenstein sein Interesse in seiner Spätphilosophie auf die Möglichkeit des subtilen Sprechens und Ausdrückens über und von Emotionen: Was liegt emotionalen Sprachspielen logisch zugrunde? Wie lernt ein Kind sich emotional auszudrücken? Wie sind kulturelle Unterschiede möglich? Und wie ist es möglich, dass auch interkulturelle Gemeinsamkeiten zwischen verschiedenen Menschen und Völkern existieren? Wie kann Gewissheit über das emotionale Empfinden eines anderen Menschen erlangt werden? Wie ist ein Zweifel daran möglich? Ist emotionales Verhalten kulturell erlernt oder als Instinkt angeboren? Wittgenstein erarbeitet ein anthropologisches Modell von Emotionen, in welchem er sowohl den Instinkt als auch die Sozialisation des Menschen ins Zentrum seines Fokusses rückt. Als innerhalb von »Sprachspielen« stattfindende Ausdrucksformen haben Emotionen eine biologische Grundlage, sind aber auch an einen situativen Kontext und eine kulturelle Gemeinschaft gebunden. Der Körper und dessen variierende Ausdrucksmöglichkeiten spielen in Wittgensteins Sprachspielphilosphie eine maßgebliche Rolle. Wittgenstein entwickelt eine Philosophie, die jenseits aller wissenschaftlichen Theorien einen Ansatz anbietet, der das emotionale Moment in Form des emotionalen Ausdrucks in der Ästhetik, Ethik und Religion berücksichtigt. Die Philosophie der Emotion des späten Wittgensteins liefert keine wissenschaftliche Theorie über ein vermeintliches Wesen der Emotion, sondern formuliert eine Philosophie, welche die Relevanz von Emotionen im menschlichen Leben offenlegt. Anna Stuhldreher beleuchtet das philosophische Spätwerk Wittgensteins und zeichnet Wittgensteins Gedanken über Emotionen systematisch nach. Auf der Grundlage der Wittgensteinschen Philosophie und durch Einbeziehung und Berücksichtigung der literarischen und philosophischen Werke derer, die Wittgenstein maßgeblich inspiriert und beeinflusst haben, entsteht eine Darstellung der Wittgensteinschen Konzeption der Emotion, die Wittgensteins Genie und Unangepasstheit erkennen läßt. »Verstümmle einen Menschen ganz & gar, schneide ihm Arme & Beine, Nase & Ohren ab & dann sieh, was von seinem Selbstrespekt & von seiner Würde übrig bleibt & wieweit seine Begriffe von solchen Dingen dann noch die selben sind. Wir ahnen gar nicht, wie diese Begriffe von dem gewöhnlichen, normalen Zustand unseres Körpers abhängen.« Tagebuchnotiz Wittgensteins von 1931