Jedes Stück ist saftig und locker und himmlisch, sowohl geschmackvoll wie leicht am Gaumen, mit einem Hauch von Zitrone und Vanille. Seit mehr als einem Jahrhundert ist der Käsekuchen von Mina Weil das Lieblingsdessert unserer Familie, ein purer Ausdruck von Genuss, Behaglichkeit und Tradition. Das Rezept unserer Urgroßmutter, das sie auf einer verblassten Karteikarte hinterlassen hat, war ihre Liebeserklärung an die Nachgeborenen. Wenn man ihren Kuchen mit allen Sinnen genießt, bringt er einen in die alte Heimat zurück. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts war Familie Weil tief in der Pfalz verwurzelt. Die Weils waren Juden der Mittelschicht, deren Vorfahren seit Jahrhunderten dort lebten. Sie waren stolze, aufrechte deutsche Bürger. Sie waren liberale Juden, Mitglieder der Reform-Synagoge. Ihre jüdische Identität zeigte sich am stärksten beim Essen und Trinken. Minas Gerichte reichten von bäuerlich bis raffiniert, jedes wurde mit dem gleichen Stil, Respekt und der gleichen Großzügigkeit serviert. Den Alltag zu Ehren ihrer Gäste zu veredeln, das war für Mina so selbstverständlich wie das Atmen. Alles änderte sich für die Weils und für die Juden in Deutschland, als Hitler 1933 an die Macht kam. Als sich die antisemitische Verfolgung in den folgenden Jahren verschärfte, waren unsere Familienmitglieder gezwungen, verzweifelt als Flüchtlinge ins Exil zu gehen. Diejenigen, die Glück hatten, bekamen ein Einwanderungsvisum. Sie flohen auf getrennten Routen in die Vereinigten Staaten. Sie waren gezwungen, ihr Heimatland mit weniger als fünf Dollar in der Tasche zu verlassen. Als Hitlers Armeen über Europa herfielen, erhielt Mina kein Visum mehr. Sie versteckte sich vor den Nazis im besetzten Holland. Unsere Urgroßmutter wurde schließlich entdeckt und gezwungen, in einen Zug “nach Osten” einzusteigen. Ihr endgültiges Ziel: das Vernichtungslager Auschwitz im besetzten Polen. Dort wurde sie umgebracht, einsam, ohne Familie. Wie hat unsere Familie ihre engen Bindungen und Traditionen während der grauenhaften Nazi-Jahre und später als Einwanderer in den USA und der Schweiz aufrechterhalten? In unserer Familie ist das Essen ein Tor zur Erinnerung. Unsere Geschichte ist in unserem kulinarischen Erbe erhalten, das von drei Frauengenerationen bewahrt und weitergegeben wurde. Wir sind die Generation, die von den unmittelbaren Schrecken des Nationalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs verschont blieb, da wir in den 1950er und 60er Jahren aufwuchsen. Unsere Eltern und Großmutter schirmten uns ab vor dem Leid, das sie selbst erlitten hatten. Sie zogen es vor, uns das Beste aus ihrem Erbe am Esstisch weiterzugeben. Im Laufe der Zeit überlebten ihre Rezepte nur noch in der Erinnerung und auf brüchigen Papierfetzen. Wie die jüdische Lebensweise unserer Vorfahren in der Pfalz könnte auch dieses immaterielle Erbe vollständig verschwinden. Deshalb haben wir 13 Lieblingsrezepte ausgewählt, um sie für zukünftige Generationen zu bewahren. Im 21. Jahrhundert, das von Ungleichheit, Klimawandel und pandemischen Krankheiten bedroht ist, schwindet die Kraft der Erinnerung an den Holocaust. Hassverbrechen und Antisemitismus sind wieder auf dem Vormarsch, während unsere Welt mit politischer und wirtschaftlicher Unsicherheit zu kämpfen hat. Dieses Werk ist unser persönliches Manifest gegen das Vergessen und gegen die Gleichgültigkeit gegenüber der Vergangenheit, die das Schicksal unserer Familie geprägt hat. Wir wollen diese Dunkelheit nicht leugnen. Aber wir können das Licht verstärken. Erinnern! Kochen! Feiern! Dieses Buch ist unsere Einladung, das zu tun.