Die Musikhandschriften Die 106 Musikhandschriften der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg stammen aus dem 13. bis 20. Jh. Zeitliche Schwerpunkte bilden das späte 15. und frühe 16. Jh. mit 16 Handschriften sowie vor allem die Zeit von 1550 bis zum Beginn des 30jährigen Krieges mit 42 Handschriften. Insgesamt 82 der Musikhandschriften dieses Bestandes entstanden vor 1806, und von ihnen stammen 38 aus der Benediktinerreichsabtei St. Ulrich und Afra. Die im späten 15. Jh. in St. Ulrich und Afra geschriebenen Musikhandschriften stehen im Zusammenhang mit der Einführung der Melker Reform, die eine Neufassung der liturgischen Texte und Gesänge notwendig machte. St. Ulrich und Afra unterhielt ein für den Eigenbedarf arbeitendes Skriptorium, dessen bedeutendstes Mitglied der Kalligraph Leonhard Wagner war. Den Höhepunkt der Musikpflege in St. Ulrich und Afra bildete die Zeit von der Mitte des 16. bis zum Beginn des 17. Jhs. Zwar begann der Druck in dieser Zeit die Handschrift zu verdrängen, doch wurde diese damit als Quelle keineswegs uninteressant – nicht selten ist im Falle der Chorbücher aus St. Ulrich die Handschrift die primäre Quelle. Bis 1630 findet also die Musikgeschichte Augsburgs in den Handschriften von St. Ulrich und Afra ihren Niederschlag. Spätere Musikalien gelangten offenbar nicht in die Klosterbibliothek. Somit haben die bis heute überlieferten Handschriften zwar nur einen begrenzten Aussagewert für die Musikgeschichte der Stadt, als Einzelkomposition kommt ihnen aber dennoch Bedeutung zu. Die Sammlung der Musikhandschriften der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg gliedert sich in vier große Signaturgruppen: Die Handschriften mit der Signatur 'Cod.' sind Teil des allgemeinen Handschriftenbestands. Es handelt sich meist um mittelalterliche oder frühneuzeitliche Niederschriften, bevorzugt liturgische Kompositionen. Die Handschriften mit der Signatur 'Tonk. Schletterer' sind sämtlich nachmittelalterliche Niederschriften, vor allem aus den Jahren 1560–1620. Ihre Gegenstände sind die Figuralmusik der zeitgenössischen Komponisten, Liturgica für das Chorgebet der Benediktiner, Motetten und Meßordinarien. Die Signatur 'Cod. mus.' bezeichnet Schenkungen, Ankäufe und Nachlässe des 19. Jhs. sowie Erwerbungen der letzten Jahrzehnte. Die Signaturgruppe 'Fasc.' stellt eine Mischung von gedruckten und handschriftlichen Musikalien aus dem 18. und 19. Jh. dar. Einige Glanzlichter der Sammlung Die Musikhandschriften der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg des 19. und 20. Jhs. enthalten überwiegend Werke lokaler Komponisten. So besitzt die Bibliothek 5 Handschriften mit Kompositionen des Augsburger Domkapellmeisters Franz (Gregor) Bühler (4° Cod. mus. 12, 13, 14, 15 u. 23 ), dessen Messen und Oratorien im 19. Jh. in Süddeutschland und Österreich sehr beliebt waren. Einige Mandora- oder Lautentabulaturen zeugen von der bürgerlichen Musikpflege des 18. Jhs. (Tonk. Schl. 290 und Tonk. Schl. 509), während eine bekannte Handschrift mit Lautenmusik (Tonk. Fasc. III) Kammermusik verzeichnet, die am Bayreuther Hof gespielt wurde. Obwohl den neueren Titeln eine gewisse Bedeutung als Zeugnisse der Musikpflege ihrer Zeit nicht abzusprechen ist, finden sich die wirklich wertvollen Stücke vor allem unter denen Hier ist auf ein von Leonhard Wagner 1495 geschriebenes, in der Werkstatt von Georg Beck reich illuminiertes Psalterium (2° Cod. 49a) und ein wahrscheinlich ebenfalls von Wagner geschriebenes, illuminiertes Graduale aus der Zeit um 1500 (2° Cod. 248) hinzuweisen. Besonders prächtig ausgestattet ist eine von Andreas Maierhofer geschriebene Handschrift von 1568 mit Magnificat-Kompositionen des Niederländers Orlando di Lasso (Tonk. Schl. 13), mit der die intensive Lasso-Pflege in St. Ulrich und Afra einsetzte. Auch Kompositionen aus dem Münchner Schülerkreis Lassos finden sich in den Augsburger Handschriften. Leonhard Lechner (Tonk. Schl. 20), Jakob Reiner (Tonk. Schl. 4) und Johann Eccard (Tonk. Schl. 6) seien hier genannt. Eine ganz besondere musikhistorische Kostbarkeit ist die Handschrift 2° Cod. 142a aus den Jahren 1505–14. Sie ist ein Beispiel für die bürgerliche Musikpflege in Augsburg mit Motetten, Chansons und Liedern. Als Autoren der Stücke wurden Fulda, Finck, Josquin, Senfl und Alexander Agricola nachgewiesen. Aus reichsstädtischem Besitz stammen zwei Handschriften mit Renaissance Motetten überwiegend niederländischer Komponisten, die in den Jahren 1570/71 bzw. 1593 geschrieben wurden (Tonk. Schl. 273–278 und Tonk. Schl. 298–301). Musikgeschichtlich bedeutend ist eine 1616 geschriebene Partitur-Handschrift mit Canzonen und Motetten von Asprilio Pacelli, Giovanni und Andrea Gabrieli (Tonk. Schl. 39). Einen Querschnitt durch die katholische Kirchenmusik Augsburgs bis zum 30jährigen Krieg stellt ein Chorbuch des Ersten Schreibers Johannes Dreher von St. Ulrich und Afra aus dem Jahr 1610 dar (Tonk. Schl. 4). Hier finden sich nicht nur sämtliche internationale Größen wie Clemens non papa, Hollander, Lasso und Palestrina, sondern auch fast vollständig die Vertreter der Augsburger Musikwelt wie Aichinger, Erbach und Klingenstein. Musikgeschichtlich interessant sind auch die Fragmente einer Handschrift aus der Zeit um 1500 mit Nachdichtungen französisch-burgundischer Chansons und Motetten von Komponisten der Ockeghem-Generation, die sich als Einbandmakulatur in einem Mindelheimer Bruderschaftsbuch von 1610 (4° Cod. mus. 25) fanden. Als abschließendes Beispiel besonders hervorzuhebender Stücke sei auf das Sequentiar 8° Cod. 61 von 1561–62 hingewiesen. Es stellt insofern eine Besonderheit dar, als es über 100 Sequenzen verzeichnet, die bis auf vier durch die Reformen des Tridentischen Konzils ausgeschlossen wurden. Es sollte somit wohl im wesentlichen dazu dienen, diese Sequenzen der Nachwelt zu erhalten. Ob als Zeugnis der Musikpflege in Augsburg bis 1630 oder, vor allem bei späteren Werken, aufgrund der Bedeutung als Einzelkomposition – für die Musikwissenschaft und historisch orientierte Musikpflege sind die Musikhandschriften der Staats- und Stadtbibliothek Augsburg auch heute noch außerordentlich wichtig. Die Gründe, warum Theoretiker und Praktiker immer wieder auf sie zugreifen, sind vielfältig: zur Ergänzung von Urteilen, als Vergleich, als Beweisstücke für wissenschaftliche Analysen oder zur Wiederbelebung durch Aufführungen oder Neupublikation. Mit dieser Edition wird der Zugriff auf diesen bis heute rege nachgefragten Bestand von Musikhandschriften für Wissenschaft und Musikpflege erheblich erleichtert.