Zum Buch:
Bevor in den Jahren von 1903 bis zum Sommer 1906 die erste Durchfahrt durch die Nordwestpassage gelang, hatte die Suche nach einem verkürzten Seeweg von Europa nach Asien durch das nördliche Polarmeer über vier Jahrhunderte hinweg die Träume von Seefahrern und Entdeckern gleichermaßen beflügelt. Namen wie James Cook, Roald Amundsen oder Sir John Franklin, der wohl tragischsten Figur in einer Riege ambitionierter Arktisfahrer sind bekannt, wie überhaupt die Geschichte der Nordwestpassage hinlänglich beschrieben worden ist und in der heutigen Wahrnehmung einen weitaus höheren Stellenwert einnimmt als ihr Pendant – die Nordostpassage.
Die nicht weniger gefahrvolle Route durch das Europäische Nordmeer von der Barentsee bis zur Beringstraße glückte erstmals im Jahr1879, und zwar dem heute so gut wie unbekannten Polarforscher und Reiseschriftsteller Adolf Erik Freiherr von Nordenskiöld, der aus Helsinki stammte, das damals noch zum Russischen Kaiserreich gehörte. Zuvor hatten sich bereits andere Entdecker auf die beschwerliche Suche begeben, allesamt wagemutige Männer, deren Namen ebenso in Vergessenheit geraten sind wie die Geschichte ihres Scheiterns.
Heutzutage schaufeln atombetriebene russische Eisbrecher den Weg durch das gefrorene sibirische Meer frei, öffnen die Fahrrinne für gewaltige Erzfrachter und Containerschiffe – und zuweilen auch für Kreuzfahrtschiffe für reiche Touristen, die sich den Flair der Ruhe und Weite etwas kosten lassen.
Andreas Renner vollzieht in seinem Buch einen beachtenswerten Brückenschlag, der uns von den ersten misslungenen Erschließungsversuchen der Nordostpassage bis in die Jetztzeit führt, wo zum einen die durch die Klimakatastrophe hervorgerufene Eisschmelze mehr und mehr fortschreitet, weshalb der Einsatz tausender Tonnen schwerer Eisbrecher zunehmend überflüssiger wird. Und wo zum anderen der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine Auswirkungen zeitigt: Sanktionen greifen, ehemals bestehende Handelsabkommen liegen sprichwörtlich auf Eis. Und das für unbestimmte Zeit.
Die erste umfassende Geschichte eines Seewegs, der bisher stets im Schatten seines berühmteren Pendants gestanden hat. Informativ und detailreich geschrieben, lebendig und kurzweilig erzählt, ein Buch zum Zurücklehnen, gut für kommende Herbsttage auf der Couch.
Axel Vits, Köln