Zum Buch:
Anfang September 2014 wird rund hundert Kilometer südlich der Adelaide-Halbinsel in der kanadischen Arktis ein Schiffswrack entdeckt, das seit 168 Jahren mitsamt seiner Mannschaft als vermisst, besser gesagt, als verschollen galt. Das Schiff steht aufrecht, als sei es hier plötzlich wie ein Stein gesunken und nicht inmitten eines tobenden Sturms in aufgewühlter See gekentert. Rumpf und Oberdecks scheinen teilweise intakt. Anker lassen sich an ihren Plätzen erkennen. Und zumindest die Spitze des Großmasts, so viel scheint sicher, muss einst aus dem Wasser geragt haben.
Bald darauf ist jeder Zweifel vom Tisch: Es handelt sich tatsächlich um die Erebus. Jenes Schiff, benannt nach Erebos, dem griechischen Gott der Finsternis, das gemeinsam mit seinem Schwesterschiff, der Terror, ausgeschickt wurde, das Rätsel der Nordwestpassage ein für alle Mal zu entschlüsseln – und kläglich daran scheiterte.
Erdacht und gebaut wurde der klobige Dreimaster als Kriegsschiff und 1826 in den Docks von Pembroke, Südwales, vom Stapel gelassen. Es sollte dem Beschuss von Küstenbatterien dienen und musste daher enorm widerstandsfähig sein. Auf Eleganz oder Komfort wurde völlig verzichtet. Nach Fertigstellung der Erebus folgte eine kurze, doch ereignislose Episode als Patrouillenschiff im Mittelmeer, bald darauf schien es aber, als habe die Navy wenig Verwendung für das schwerfällige, so gut wie brandneue Mörserschiff. Man entledigte es seiner Masten und deckte es mit einer riesigen Plane ab, als schäme man sich ihres Anblicks.
Erst als man Jahre später Schiffe zur Erkundung der Arktis benötigte, erinnerte man sich an die Erebus, rüstete sie zum stolzen Forschungsschiff um und sandte sie aus, um Sir John Franklin auf dessen dritter und letzter Expedition als Kommandoschiff zu dienen.
Michael Palin, das einstige Gründungsmitglied der britischen Komiker Truppe Monty Python, Reiseschriftsteller und drei Jahre lang Präsident der Royal Geographical Society – eben jener Organisation mehr oder weniger ruhmreicher Entdecker, die damals die Erebus auf ihre gefahrvolle und entbehrungsreiche Suche nach der Passage entsandt hatte –, ist ein ausgesprochener Kenner, was die Geschichte des Schiffes anbelangt. Eine lange Zeit der Recherche hat er darauf verwendet, ihren Weg vom Stapellauf bis zur Entdeckung ihres eisigen Grabs vor der Küste Kanadas zu verfolgen. Und sobald er beginnt, auf seine unvergleichliche Art darüber zu schreiben, wenn er von den Ländern spricht, die er bereist hat, wenn er über die Menschen berichtet, denen er auf seinen Wegen begegnet ist, und wenn er sich hineinversetzt in das Leben an Bord eines Expeditionsschiffes der damaligen Zeit, dann wünscht man sich, es möge draußen regnen, mindestens eine Woche lang, damit man ohne Bedauern auf der Couch liegen und lesen, lesen, lesen kann.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln