In der Gegenwartsliteratur wird Schriftgestaltung zur Basis für poetische Verfahren: Verfremdung wird typographisch, Typographie wird verfremdet. In der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur trifft man seit der Jahrtausendwende immer häufiger auf typographisch auffällige Romane: Die Schrift wird vergrößert oder verkleinert, Zeilen verlaufen kreuz und quer über die Seiten, einzelne Wörter oder ganze Passagen werden getilgt oder durchgestrichen, es tauchen Wörter in anderen Schriftarten und Schriftzeichen anderer Schriftsysteme oder Alphabete auf. In diesen Fällen können die Schrift und ihre Materialität nicht länger übersehen werden, die Typographie wird zu einem integralen Bestandteil der Erzählung und ihrer ästhetischen Strategien. Judith Niehaus entwickelt eine Terminologie und Systematik, um derlei typographische Verfahren aus einer genuin literaturwissenschaftlichen Perspektive in den Blick zu nehmen. Ausgehend von differenzierten Lektüren deutschsprachiger Erzähltexte, von Wolf Haas, Jan Brandt, Terézia Mora, María Cecilia Barbetta, Walter Moers, Michael Lentz und zahlreichen weiteren Autor*innen, entwirft sie Antworten auf die Frage, wie literarische Texte mittels typographischer Verfahren das, was geschrieben wird, die Art, wie geschrieben wird, oder sogar die Schrift selbst `fremd` machen – verfremden.