In der Literatur ist ein stetiges Bedürfnis von Schriftstellern zu beobachten, sich mit literarischen Vorgängern zu beschäftigen. Schon Heinrich Heine sprach von der Literaturgeschichte als einer großen Leichenschauhalle, in der jeder die jeweils liebsten Schriftsteller aufsuche. Ein gängiges Verfahren im produktiven Umgang mit historischen Schriftstellern besteht darin, sie als Figuren in einem Text auftreten zu lassen. Goethes Torquato Tasso, Büchners Lenz und Thomas Manns Lotte in Weimar bis hin zu aktuellen Bestsellern wie Karen Duves Fräulein Nettes kurzer Sommer oder Angela Steideles Aufklärung zeugen von einer jahrhundertelangen Faszination auf Autor- und Leserseite. Am Beispiel der Gegenwartsliteratur möchte diese Studie zeigen, was historische Schriftstellerfiguren auszeichnet und welche ästhetischen Möglichkeiten sie bieten. Als Bildungsphänomene eignen sie sich, den Zusammenhang von Wissen, kultureller Teilhabe und Massentauglichkeit zu diskutieren. Sie geben Auskunft über die Rezeption historischer Persönlichkeiten, über Strategien im Literaturbetrieb und letztlich über die Gegenwartskultur und -literatur insgesamt, womit sie sich als hochgradig relevante und aktuelle Erscheinung erweisen.