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Vor dem Fest

Autor
Stanišić, Saša

Vor dem Fest

Untertitel
Roman
Beschreibung

Eine Inhaltsangabe von Saša Stanišićs Roman „Vor dem Fest“ fällt schwer, denn einen „Plot“ gibt es einfach nicht, nicht einmal das, was man so üblicherweise „Handlung“ nennt. Nur Zeit und Ort stehen fest: Die Sommernacht vor dem jährlichen Dorffest, dem wichtigsten Ereignis in Fürstenfelde, dem gottverlassenen Nest in der Uckermark, in dem viele Alte und wenig Junge leben und dessen Hauptattraktion die beiden Seen mit ihren vielen Inseln sind, zu denen man mit der Fähre kommt. Nur schade, dass der Fährmann tot ist.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
btb, 2015
Seiten
320
Format
Taschenbuch
ISBN/EAN
978-3-442-74989-8
Preis
13,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Sasa Stanisic wurde 1978 in Visegrad in Bosnien-Herzegowina geboren und kam als Vierzehnjähriger nach Heidelberg. Seit 2004 studiert er am Deutschen Literaturinstitut in Leipzig. Stanisic hat mehrere Stipendien und Preise erhalten, u.a. den Publikumspreis beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb sowie 2008 den Adelbert-von-Chamisso-Preis. Im Jahr 2013 wurde ihm der Alfred-Döblin-Preis verliehen.

Zum Buch:

Eine Inhaltsangabe von Saša Stanišićs Roman „Vor dem Fest“ fällt schwer, denn einen „Plot“ gibt es einfach nicht, nicht einmal das, was man so üblicherweise „Handlung“ nennt. Nur Zeit und Ort stehen fest: Die Sommernacht vor dem jährlichen Dorffest, dem wichtigsten Ereignis in Fürstenfelde, dem gottverlassenen Nest in der Uckermark, in dem viele Alte und wenig Junge leben und dessen Hauptattraktion die beiden Seen mit ihren vielen Inseln sind, zu denen man mit der Fähre kommt. Nur schade, dass der Fährmann tot ist.

In dieser Nacht ist einiges in Bewegung. Frau Kranz zum Beispiel, die achtzigjährige Malerin, die seit Jahrzehnten alles und jeden im Dorf malt und ihren Werken sprechende Titel gibt, etwa „Der Neonazi schläft.“ Denn natürlich gibt es hier auch Neonazis, und zwar genau anderthalb: „Rico eben und seine Freundin Luise. Luise ist ein Halbnazi, weil sie den ganzen Scheiß nur Rico zuliebe macht”, wie Johann erklärt, einer der wenigen Jugendlichen, die es im Dorf noch gibt. Frau Kranz also, die übrigens nachtblind ist, stellt in dieser Nacht ihre Staffelei im See auf und sich – im Abendkleid – gleich mit hinein, um ihn endlich mal im Dunkeln zu malen. In Bewegung ist auch das Dorfarchiv geraten, dessen Kellertür plötzlich offensteht, eben jene Tür, die Frau Schwermuth vom Heimatmuseum wegen der historischen Schätze, die darin – angeblich? – verborgen sind, stets fest verschlossen hält und eifersüchtig bewacht. Und Herr Schramm, der ehemalige NVA-Offizier, fährt im Auto durch die Nacht und denkt mal wieder über Selbstmord nach, will aber keinesfalls als Leiche mit dem Kopf auf dem Lenkrad gefunden werden, wie das so oft im „Tatort“ vorkommt. Immer wieder schnürt auch eine Füchsin durchs Dorf, auf der Suche nach Eiern für ihre ständig hungrigen Jungen.

Man könnte endlos weitererzählen von dem, was sich in dieser Nacht in diesem Dorf noch so alles bewegt, all die wahnwitzig komischen und todtraurigen Geschichten und Anekdoten wiedergeben, von denen dieser Roman prallvoll ist – ohne dem Buch damit auch nur ansatzweise gerecht zu werden. Denn in „Vor dem Fest“ erzählt das Dorf sich und seine Geschichte quasi selbst, ein kollektives „Wir“, bestehend aus unverwechselbaren Individuen. Vor allem aber ist „Vor dem Fest“ ein ungeheuer musikalisches Buch, mit einem durchgehenden, mitreißenden Rhythmus. Wie in einem Oratorium entsteht aus Chorstücken, Arien und Rezitativen ein harmonisches Ganzes, gleichzeitig luftig-leicht und erdverbunden, eher Händel als Bach, um im Bild zu bleiben. Stanišić ist eine meisterhafte Komposition aus ganz unterschiedlichen Sprachebenen – von Originalquellen aus dem 15. Jahrhundert bis zu heutiger Jugendsprache und Rap – und stilistischen Elementen – von Sagen und Legenden bis zum heutigen Fernsehprogramm – gelungen, die das Buch zum Kunstwerk und die Lektüre zum ungetrübten Genuss macht. Und nur ganz am Ende habe ich etwas vermisst: die vier kleinen Wörter da capo al fine.

Irmgard Hölscher, Fankfurt am Main