Zum Buch:
Frankreich im Jahr 1815. Waterloo ist bereits Geschichte, Napoleon endgültig auf St. Helena verbannt, da schickten die Siegermächte auch schon ihre Abgesandten und Kommissare nach Paris in die Grand Galerie des „Musée Napoléon“, den späteren Louvre, um die einst aus ihren Ländern geraubten Kunstschätze zurückzufordern. Als der soeben entlassene Generaldirektor des Museums, ein rüstiger Kauz von bald siebzig Jahren, dabei zusehen musste, wie zwei Flamen, auf einer Leiter stehend, ein Rubensgemälde abhängen wollten, geriet der alte Mann derart in Wut, dass er für einen Moment die Beherrschung verlor und kurz entschlossen die hohe Leiter umstieß. Nun, den flämischen Kommissaren geschah nichts. Sie konnten sich retten, indem sie sich an den Bilderrahmen festhielten und ein paar Landsleute herbeiriefen.
Dagegen war die Wut des Direktors alles andere als angemessen, denn schließlich wurden in seinem Namen auf allen Feldzügen Napoleons ungezählte Massen an Kunstschätzen gestohlen und die Säle und Lager der Pariser Museen damit gefüllt. Über Jahrzehnte hinweg. Ob in Wien oder Kairo, in Berlin, Madrid oder Antwerpen, zimperlich ist er bei seinen Plünderzügen nur mit den Kunstwerken umgegangen, ansonsten machte seine unermessliche Gier vor nichts halt. Der wutschnaubende Direktor, der die Leiter umstieß, war Vivant Denon, eine der wohl ungewöhnlichsten Gestalten des beginnenden neunzehnten Jahrhunderts, die heutzutage fast vergessen und dennoch aus der Kunstgeschichte nicht wegzudenken ist. Die packend geschriebene Biografie von Reinhard Kaiser dreht sich allerdings nicht allein um die Figur des kompromisslosen Diebs und genialen Kunstverständigen, vielmehr kommt auch der liebevolle Mensch zu Wort, der Denon zu Lebzeiten zumindest sein konnte. Ein ergreifender Briefwechsel mit seiner langjährigen Freundin und Geliebten zeugt davon; und das zusammengenommen macht diese Biografie zu einem angenehm kurzweiligen und unterhaltsamen Stück großer Literatur.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln