Zum Buch:
Das geschriebene Wort begleitet die Menschheit seit mehr als 5000 Jahren. Irene Vallejo hat der Geschichte des Niedergeschriebenen nachgespürt und ist auf vielerlei Erstaunliches und Wunderbares gestoßen. Sie erzählt von der Rolle des Buches in der Weltgeschichte und von all denen, die Schriftwerken zur Unsterblichkeit verholfen haben, mit großer Leidenschaft und in einer Sprache, die glitzert und funkelt …
Aus dem goldenen Zeitalter des Kaisers Augustus sind Fragmente einer jungen Dichterin erhalten, die in ihren Gedichten für diese Zeit (und als Frau!) Unerhörtes reklamierte: Freiheit und Vergnügen. Dass Teile ihrer Dichtung erhalten geblieben sind, hat sie – und haben vor allem wir – der Tatsache zu verdanken, dass sie nicht unter ihrem Namen, sondern eingebettet in den Korpus der Gedichte eines männlichen Autors aus dem Kreis ihres Onkels Tibull erschienen sind. Das geschriebene Wort galt als Werkzeug des politischen Kampfes und war männliches Vorrecht. Wobei es auch für Männer nicht ganz ungefährlich war, dieses Recht zu nutzen: Wenn das Niedergeschriebene dem jeweiligen Kaiser nicht behagte, ließ er nicht nur den Autor töten, sondern die Kopisten und Buchhändler, die das Werk vertrieben hatten, gleich mit.
So wie die Vernichtung des geschriebenen Wortes in jedem Jahrhundert ein Zeichen von Größenwahn darstellt, so ist auch das Projekt, das Alexander der Große auf all seinen Feldzügen nebenher verfolgte, von eben diesem Wahn geprägt: Die Eroberung der ganzen Welt sollte sich in der Bibliothek von Alexandria spiegeln. Alle jemals niedergeschriebenen Werke, so der Plan, würden hier versammelt sein.
Irene Vallejo ist eine begnadete Erzählerin und erweckt ein Jahrhundert nach dem anderen zum Leben. Ihr Buch lädt dazu ein, den eigenen Weg in die Geschichte und die Welt der Bücher zu finden. Jedes Kapitel kann vor oder nach dem darauf folgenden gelesen, genossen werden. Eigene Erinnerungen an die Stunden mit dem Vater in Antiquariaten, den „Königreichen der Unordnung“, finden sich ebenso wie der Blick zurück in die Zeit der Franco-Diktatur, in der eben jene Aufenthalte in Buchhandlungen, jenen „Palästen aus Papier“, durchaus gefährliche Unterfangen waren. Denn Bücher sind, so die Autorin, „die besten Verbündeten gegen die Zerstörung und das Vergessen“, sie bieten „eine heimliche Zuflucht, geschützt vor der Witterung, vor Notlagen und Schweigen“. In Zeiten politischer Unterdrückung sind sie die wirksamste aller Waffen.
Susanne Rikl, München