Dieses Tsantsa-Themenheft richtet seinen Fokus auf aktuelle Forschungen, die eine kritische Auseinandersetzung mit der materiellen und insbesondere immateriellen Kulturerbe-Thematik suchen. Das Erbe-Konzept im Allgemeinen und das durch die UNESCO geprägte Konzept des Kulturerbes im Besonderen sind das Ergebnis von komplexen Prozessen der politischen Verhandlung auf nationaler und internationaler Ebene. In dieser durch die UNESCO Konvention hervorgerufenen Auseinandersetzung mit immateriellem Kulturerbe spielen normative und häufig widersprüchliche Verständnisse von Kultur und Vielfalt sowie Begrifflichkeiten wie Nationalität, Tradition, und Repräsentativität eine wichtige Rolle. Diese Auseinandersetzungen und Verhandlungen sind meist Vorboten für weitere ideologisch aufgeladene Eingriffe nationaler bürokratischer Strukturen in die Vertretungen und Bräuche von Gemeinschaften, Gruppen und einzelnen Kulturschaffenden. UNESCO-Kulturerbe ist somit immer auch nationales Erbe und eröffnet wichtige Fragen über die Ziele, die Wirkmacht und den Umgang des Staates mit diesem Erbe. Stellen serielle Bewerbungen und gemeinsame Bewerbungen mehrerer Staaten hier eine neue oder gar gegenläufige Tendenz dar? Generell sollen kulturelle Errungenschaften gewürdigt werden, dass hierunter jedoch auch die Ernennungen von Gedenkstätten, wie zum Beispiel Robben Island, Hiroshima oder Auschwitz, fallen, erscheint paradox und provozierend zugleich. Wie gestaltet sich der Umgang mit diesem „schwierigen“ Erbe? Welche Konflikte und Diskurse sind hier von Bedeutung? Einige wenige Länder, wie zum Beispiel Deutschland oder die Schweiz, befinden sich „erst“ in der Ratifizierungs- oder Umsetzungsphase der UNESCO-Konvention zum immateriellen Kulturerbe. Welche anthropologischen Forschungsprojekte setzen sich aktuell mit der (im)materiellen Kulturerbe-Thematik auseinander? Und welche Aushandlungsprozesse und Problematiken lassen sich hier ausmachen? In Anbetracht dieser Fragestellungen lassen sich folgende Schwerpunkte für diese Tsantsa Ausgabe zusammenfassen: 1) Kulturerbe und Staat, 2) Transnationales und serielles Kulturerbe, 3) „Schwieriges Kulturerbe“: Gedenkstätten als Kulturerbe, 4) Vom Finden des Umgangs mit dem immateriellen Kulturerbe.
