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Beute

Autor
Savoy, Bénédicte; Skwirblies, Robert; Dolezalek, Isabelle (Hg)

Beute

Untertitel
Eine Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe
Beschreibung

Zwei Bände von Bénédicte Savoy und ihren Mitarbeitern zum Raub von Artefakten durch Siegermächte liegen vor und öffnen dem Leser die Augen über die jahrhundertealten Praktiken der Kunsträuberei bei den unterworfenen Völkern. Das „sakrosankte“ Prinzip des kriegerischen Beutemachens scheint nach endlosen Geburtsschwierigkeiten im europäischen Raum einer differenzierteren und manchmal auch schuldbewussteren Betrachtungsweise zu weichen. Selten liest man zu diesem Thema so bestürzend eindringliche Beispiele menschlicher Habgier.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Matthes & Seitz Berlin, 2021
Seiten
389
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-7518-0312-0
Preis
38,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Bénédicte Savoy, 1972 in Paris geboren, lehrt Kunstgeschichte an der TU Berlin und am Collège de France in Paris. Ihre Forschungsinteressen sind Kunst und Kulturtransfer in Europa, Museumsgeschichte sowie Kunstraub und Beutekunst. 2016 erhielt sie den Gottfried Wilhelm Leibniz-Preis der Deutschen Forschungsgemeinschaft

Zum Buch:

Zwei Bände von Bénédicte Savoy und ihren Mitarbeitern zum Raub von Artefakten durch Siegermächte liegen vor und öffnen dem Leser die Augen über die jahrhundertealten Praktiken der Kunsträuberei bei den unterworfenen Völkern. Das „sakrosankte“ Prinzip des kriegerischen Beutemachens scheint nach endlosen Geburtsschwierigkeiten im europäischen Raum einer differenzierteren und manchmal auch schuldbewussteren Betrachtungsweise zu weichen. Einer Betrachtungsweise, die auch schon vor über zweitausend Jahren durch einzelne Kritiker existiert hat, aber im Rahmen zweitausendjährigen „Fortschritts“ wieder in den alten Schemata evolutionärer Statik gelandet sind.

Die zwei sich ergänzenden Bände sind ein wissenschaftliches Kompendium, das im „Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe“ illustrierte Einblicke in Zeit- und Kunstgeschichte gibt und den oft barbarischen Umgang mit Artefakten aufzeigt. Der Band „Anthologie zu Kunstraub und Kulturerbe“ stellt die zeitgenössischen Stellungnahmen zu diesen Ereignissen in oft noch nie gelesenen Kommentaren vor und zeigt sowohl die kritischen Einstellungen in Sachen Kunstaneignung, aber auch die Argumente der nationalistischen Befürworter der siegreichen Kulturräubereien. Diese Anthologie ist ein Zeit- und Sittengemälde, das sich aus dem frühen Altertum, um 1700 vor Chr., über die Römer und das frühe Mittelalter erstreckt und sich dann ab dem 12. Jahrhundert sehr dicht mit den Ereignissen auseinandersetzt. Die Originaltexte und anschließenden Kommentare und Erklärungen sind höchst lebendig und fundiert. Es macht großes Vergnügen, sich mit ihnen zu beschäftigen und eine Menge an Geschichtswissen wieder zu entdecken oder neu zu erfahren. Jeder dieser Originaltexte aus der Anthologie könnte zum Vorentwurf für eine spannende Zeitreise in die Vergangenheit werden, die Denkweisen und Zeitumstände zu verschmelzen vermag und Historienbilder von großer Wucht entstehen lässt.

Selten liest man zu diesem Thema so bestürzend eindringliche Spiegelbilder menschlicher Habgier: die Siegermentalität, die sich über alle Bedenken hinwegsetzt und mit scheinheiligen Argumenten ihre Räubereien beschönigt: Die Besiegten sind Untermenschen, die Sieger sind Retter der Kunst, Kunst ist Freiheit und gehört in die Nation der Freiheit (Frankreich). Je unhaltbarer die Tatsachen der Verbrechen sind, desto gewaltiger sind die Wogen der Rechtfertigungsversuche der Raubbrüder. Auf der anderen Seite stehen einfühlsame Großzügigkeit und Gerechtigkeitssinn.

Der Bildatlas zu Kunstraub und Kulturerbe zeigt Bilddarstellungen, feinsinnig interpretiert, mit großer Aufmerksamkeit beobachtet und thematisch eingeordnet in die verschiedenen Begründungszusammenhänge der historischen Aneignungsentwicklungen: Nehmen, Aneignen, Tauschen, Fehlen, Protestieren und Zurückgeben. In jeder dieser Rubriken erfahren wir die historischen Hintergründe über den Verlauf der Aktionen. Immer handelt es sich um ein kulturgeschichtliches Dokument, das allen beutemachenden Ländern, insbesondere den Europäern, die angemaßten Besitzansprüche und deren Begründung vor Augen führt.

Die drei letzten Rubriken zeigen die entstandene Leere in den Herkunftsländern und den daraus erwachenden Protest gegen diese Aneignungen und schließlich den eingeschlagenen oder besser: den einzuschlagenden Weg zur Rückgabe.

Die beiden Bände, die unbedingt zusammengehören, sind ein kulturgeschichtliches Dokument, das sich über vier Jahrtausende erstreckt und den Leser mit der Erkenntnis zurücklässt: „Wie wir‘s doch so herrlich weit gebracht“, trotz allen „Fortschritts“, und wie sehr unsere geistige Ausrüstung gegenüber der technisch-intellektuellen ins Hintertreffen geraten ist.

Die Hoffnung ist nicht unbegründet, dass sich das Kapitel der Kunstrestitutionen zur Zufriedenheit der Herkunftsländer im Einvernehmen mit den Museen abschließen lässt. Damit wäre ein echter Fortschritt in gegenseitiger Wertschätzung entstanden und ein Stück weit ein menschliches aufeinanderzugehen.

Für den Leser ist BEUTE ein Buch des Nachdenkens und der Hoffnung. Und wichtig!

Notker Gloker, Heiligenberg