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Fleckenverlauf

Autor
Mora, Terézia

Fleckenverlauf

Untertitel
Ein Tage- und Arbeitsbuch
Beschreibung

Ein Buch zur Hand nehmen, es auf Seite 23 aufschlagen und über den jeweils fünften Satz auf dieser Seite nachdenken: Spiele wie diese geben Terézia Mora Schreibimpulse. Zu ihrem 50. Geburtstag sollte ein besonderes Buch publiziert werden – ihr Tage- und Arbeitsbuch, das sie sieben Jahre lang von ihrem 43. bis zu ihrem 50. Geburtstag geführt hat und das unter anderem solche Schreibstrategien abbildet. Mora gibt in diesem persönlichen, aber ausgezeichnet edierten Buch Einblicke in ihre Arbeit und darin, wie diese Arbeit aus dem Alltäglichen entstehen kann. Zugleich begegnet uns die Autorin in diesem Buch als überaus kluge Beobachterin des Weltgeschehens wieder.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Luchterhand Literaturverlag, 2021
Seiten
288
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-630-87669-6
Preis
22,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Terézia Mora wurde 1971 in Sopron, Ungarn, geboren und lebt seit 1990 in Berlin. Für ihren Roman „Das Ungeheuer“ erhielt sie 2013 den Deutschen Buchpreis. Ihr literarisches Debüt, der Erzählungsband „Seltsame Materie“, wurde mit dem Ingeborg-Bachmann-Preis ausgezeichnet. Für ihr Gesamtwerk wurde ihr 2018 der Georg-Büchner-Preis zugesprochen. Terézia Mora zählt außerdem zu den renommiertesten Übersetzern aus dem Ungarischen.

Zum Buch:

Ein Buch zur Hand nehmen, es auf Seite 23 aufschlagen und über den jeweils fünften Satz auf dieser Seite nachdenken: Spiele wie diese geben Terézia Mora Schreibimpulse. Zu ihrem 50. Geburtstag sollte ein besonderes Buch publiziert werden – ihr Tage- und Arbeitsbuch, das sie sieben Jahre lang von ihrem 43. bis zu ihrem 50. Geburtstag geführt hat und das unter anderem solche Schreibstrategien abbildet. Mora gibt in diesem persönlichen, aber ausgezeichnet edierten Buch Einblicke in ihre Arbeit und darin, wie diese Arbeit aus dem Alltäglichen entstehen kann. Zugleich begegnet uns die Autorin in diesem Buch als überaus kluge Beobachterin des Weltgeschehens wieder.

Terézia Mora schreibt, wie sich das Nachdenken über Literatur, das Lesen und Schreiben in einen Alltag integriert. Minutiös führt sie Buch über das, was sie am Schreiben hindert. Geprägt sind die Einträge auch von den physischen Beeinträchtigungen der Autorin (u.a. dem titelgebenden Fleckenverlauf nach einem Fahrradunfall), über die sie wütend und mit schwarzem Humor schreibt. Notizen über Beobachtungen aus dem Alltag, die sie einmal in einen literarischen Text einzubauen plant, versieht sie aus der Rückschau, ob, und wenn ja, wo sie das tatsächlich gemacht hat. So wird ihr Tage- und Arbeitsbuch auch als Szenen- und Figurenarchiv sichtbar, aus dem vielleicht – hoffentlich – eine Trilogie der Frauen mit weiblichen Protagonistinnen hervorgehen wird. In diesem Zusammenhang haben auch Fotos Eingang in das Buch gefunden, die sie als codierte Emotionen für eine spätere Verwendung in ihren Texten sammelt.

Dieses Tage- und Arbeitsbuch ist beides zugleich: Einerseits schauen wir hier einer der interessantesten deutschsprachigen Schriftstellerinnen beim Arbeiten über die Schulter, andererseits erleben wir ihre meisterhafte Sprache auch in dieser Textform. Leseeindrücke, Briefe, Exzerpte aus Gelesenem und To-Do-Listen stehen hier neben kurzen Berichten über Recherchereisen und über ihre Arbeit als Übersetzerin, über ihre Träume und über die Arbeit als Schriftstellerin im unerbittlich Romane fordernden Literaturbetrieb. Sie trauert um ihren Lehrer und Freund Péter Esterházy und übt Kritik am Berliner „Kulturprekariat“, deren solipsistisches Treiben Mora selbstkritisch karikiert. Bitter verfolgt Mora die Entwicklungen in Ungarn unter Orban und beschreibt in einem Brief an ihren Freund und Kollegen Andreas Jungwirth, wie sie auch in Deutschland mit den Repressionen des ungarischen Kulturbetriebs in Berührung kommt.

Großartig ist es zu verfolgen, wie die Kopp-Trilogie entsteht (Der einzige Mann auf dem Kontinent (2009), Das Ungeheuer (2013) und Auf dem Seil (2019)). Figuren, Konstellationen und Plot-Elemente nehmen vor den Augen der Leserin Gestalt an. Hier werden Versionen verglichen, Wörter umgestellt, Sätze vertauscht, und es wird sichtbar, wie sehr das Schreiben handwerklicher Umgang mit Nuancen ist, wie sehr es auf einzelne Worte ankommt. Faszinierend ist es zu sehen, wie sich Mora selbst von ihren Texten leiten lässt, wie hart sie dafür arbeitet, überrascht zu werden von neuen Wendungen, an die sie nicht gedacht hat und die sie in ihrem Weltverständnis weiterbringen.

Das nämlich, so wird deutlich, ist ihre Grundhaltung als Autorin: Eine tiefe Irritation über die Merkwürdigkeit der Welt und ein beharrlicher, manchmal ungeduldiger und zuweilen sogar aggressiver Versuch, mit dem Schreiben diese Merkwürdigkeit wenn schon nicht verständlich, so doch zumindest sichtbar zu machen und dadurch handlungsfähig zu bleiben. Wie sie sich daran abarbeitet, wird aus diesen Tage- und Arbeitsbüchern sichtbar. So ist dieses Buch nicht nur für Mora-Fans ein Muss!

Alena Heinritz, Innsbruck