Zum Buch:
Ein gefallener Weihnachtsbaum kann eine Befreiung sein. Raus aus dem Elternhaus mit abgehängter Decke, aus der Psychiatrie, aus dem Musizierzimmer für Hochbegabte, weg vom schwulenfeindlichen Vater. Fluchtpunkt ist das „Auerhaus“. Dort treffen sich diese Menschen und ihre Geschichten, mehr noch, dort leben sie zusammen, essen, trinken, lieben, hören Musik aus Radiorecordern.
Bov Bjergs Roman erschien vor acht Jahren, wurde rasch zum Bestseller und – Treppenwitz der Geschichte – auch zur Schullektüre. Vor allem aber ist es Literatur, die mit ihrem präzisen Sound Grundlegendes verhandelt, von einer biografischen Schwelle erzählt, deren Überschreiten schon immer ein Drama war. Wie Martina Knoben in der SZ schreibt: „Dazu dieses Gefühl: achtzehn sein!“
Ein erfolgreiches Buch zieht einiges nach sich. Verfilmung, Theaterfassung – warum nicht auch eine Adaption als Comic? Was nach Verwertungsmaschine klingt, ist im Fall von Auerhaus ein großes Glück. Das lakonische, szenisch organisierte und mit perfekt getimten Dialogen ausgestattete Buch von Bov Bjerg ist eine wunderbare Vorlage für ein Medium, dass mit Auslassung, Gleichzeitigkeit und einer eigenständigen Bildebene sehr eigene Mittel zur Verfügung hat: den Comic.
Janne Dauer, geboren 1995, hat sich der Sache angenommen. Sie ist eine Generation jünger als der Autor. Und sie erweist sich als perfekte Besetzung, um der Geschichte in der Umsetzung zur Graphic Novel eine kluge Eigenständigkeit zu verleihen. Nach einem Suizidversuch soll Frieder nicht wieder in seine Familie zurück. Der Psychologe rät zu einem Neuanfang unter Freunden. In einem alten Bauernhaus entsteht eine Wohngemeinschaft von jungen Menschen, die mit der schwäbisch-provinziellen Konvention Atemprobleme haben. Sie sollen auf Frieder aufpassen. Aber wie soll das funktionieren, wenn sie selbst nicht wissen, wohin es gehen soll? Die unmittelbare Abfolge von Existentiellem und Banalem, Tod und Party verwebt die Zeichnerin mit einem präzisen und zugleich offenen Stil. Subtil setzt sie dabei Farben ein, bunt, nie grell.
Auerhaus ist nicht Retro. Musterung, Kassettenrecorder, keine Handys!, erste Fußgängerzonen – Janne Dauer zeigt das, aber suhlt sich nicht im Zeitkolorit der 80er Jahre. Viel wichtiger ist ihr, dem schwebenden Lebensgefühl des Übergangs Farbe und Gestalt zu geben. Alles ist möglich, aber keine Ahnung wie.
Janne Dauer ist eine Entdeckung. Sie hat in Kassel und Wien Illustration studiert und kennt diese Epoche nur aus Filmen. Sie gewinnt mit ihren Mitteln der Vorlage etwas Neues ab, einen Rhythmus und, wie schon angedeutet: Farben. Sie öffnet die Geschichte mit ihrer klugen Montage auch LeserIinnen, die mit Bildergeschichten groß geworden sind.
Man hört, der Autor sei zufrieden.
Joacob Hoffmann, Frankfurt a.M.