Zum Buch:
Wer kennt sie nicht- die Sehnsucht nach etwas, was es nicht gibt? Wenn dann die eigene Sehnsucht noch beginnt, sich zu sehnen, und der Verdopplungseffekt der sich sehnenden Sehnsucht beinahe unerträglich wird, befinden wir uns unweigerlich in einem emotional rettungslosen Zustand. Der Ich- Erzähler in Genazinos Roman Die Liebesblödigkeit, befindet sich mittendrin in seinem selbst produzierten Gefühlschaos. Er liebt seit längerem zwei Frauen, doch erst seit kurzem scheint dies für den Mitfünfziger ein ernsthaftes Problem darzustellen. Für welche soll er sich längerfristig entscheiden? Für die etwas mollige, vollbusige Sandra, der er fürsorglich seine schmutzige Wäsche zum Waschen bringen darf, die im Gegenzug dann aber auch von ihm erwartet, dass er ihre Blumen im Urlaub gießt – er tut das ja auch alles gerne- oder für die schlanke, sprachgewandte Musikerin Judith, mit der es sich fabelhaft über Bach streiten lässt? Hilflos streift der Erzähler durch die Stadt, wobei er aufs genaueste seine Umgebung, seine Mitmenschen beobachtet und das Gesehene in psychologisch unverklärten Monologen kommentiert. Obwohl ihn diese Streifzüge vorübergehend ablenken, lösen sie nicht sein eigentliches Problem. Selbst auf seinem Apokalypseseminar muss er unentwegt an sein Frauenproblem denken, und es macht ihn krank. Von den ersten Seiten an empfindet der Leser eine tiefe Sympathie für den Ich-Erzähler, obwohl dieser doch eigentlich ein Schwein sein müsste, oder nicht? Dem Büchner Preisträger Genazino gelingt es, eine Person zu erschaffen, die so voll schrullig-kauziger Phantasie steckt, dass der Leser unweigerlich Verständnis für ihr Handeln aufbringen muss. Außerdem ist der Roman gespickt mit interessanten und skurril verkorksten Existenzen, die durch Genazinos gewohnt scharfen Blick zu ganz eigenen, farbigen Individuen werden. Ob der Protagonist aus seiner Misere herausfindet, aber vor allem, wenn ja, wie er sich rettet, das erfährt derjenige, der sich zur Lektüre dieses Romans entschließt. Ein Genuss- nicht nur für Liebesverblödete. Riccarda Gleichauf, Karl Marx Buchhandlung, Frankfurt