Zur Autorin/Zum Autor:
James Agee (1909 – 1955) war Journalist, Drehbuchautor und Schriftsteller. Er war einer der einflussreichsten Filmkritiker seiner Zeit und schrieb die Drehbücher zu „The African Queen“, „The Night of the Hunter“ u. a.
1936, während der Großen Depression, bereisen ein Journalist und ein Fotograf den Süden der USA, um über die Lebensbedingungen der dortigen, völlig verarmten Pachtfarmerfamilien zu berichten. „Preisen will ich die großen Männer“ ist ein Buch, wie es nur Die Andere Bibliothek herausbringen kann.
(ausführliche Besprechung unten)
Zunächst sind da die knapp sechzig Schwarzweißfotografien von Walker Evans, die dem Betrachter mehr als einen flüchtigen Schauer einflößen; hier kann man mit Sicherheit von dem berühmten Kloß sprechen, der einem im Halse stecken bleibt, während man stumm ein Foto nach dem anderen betrachtet. Ausgemergelte Frauen mit spröden, zugekniffenen Lippen, Frauen, die aussehen wie weit über fünfzig, bei denen man aber sofort ahnt, sie sind jünger, sie sind viel jünger. Dann die Kinder, nackt oder in Kleiderfetzten und immer barfuß, die Augen halb geschlossen, so als würden sie jeden Moment mit dem Schlimmsten rechnen, wobei man jedoch davon ausgehen muss, dass sie in diesem Leben bereits zu viel Schlimmes gesehen haben. Dünne Männer in geflickten Latzhosen, mit Muskeln wie harte, verdrehte Äste, die Gesichter gramerfüllt wie auf einer Beerdigung.
Windschiefe Holzhütten mit Blechdach, in denen nur das Allernötigste steht oder mit Nägeln an die blanken Wände gehämmert wurde. Trockene, verstaubte Straßen ohne Schatten, und zu beiden Seiten Baumwollfelder. Riesige Baumwollfelder.
Südalabama im Sommer 1936, in den Zeiten des New Deal. Der Journalist und Schriftsteller James Agee bereist zusammen mit dem Fotografen Walker Evans den Süden der USA, um über die ärmlichen Lebensverhältnisse der weißen Pachtfarmer zu berichten. Während der zwei Monate, die sie unterwegs sind, leben sie mit drei Familien zusammen, deren Not und Hilflosigkeit so absolut sind, dass sich Agee fast schämt, darüber zu schreiben.
Er bezeichnet sich im Personenregister selbst als Spitzel, der als Journalist reist, und er hält sein Eindringen in die Ungeschütztheit dieser an der Grenze des Vorstellbaren lebenden Familien geradezu für obszön. Und dennoch, oder gerade deswegen, bleibt er und schreibt detailliert auf, was er sieht, und das in einem sehr persönlichem Mix aus Prosa, Lyrik und reiner Dokumentation, und er bittet den Leser vorab, sein Buch, das erst 1941 in den USA veröffentlicht wurde, “in Gottes Namen nicht für Kunst zu halten“.
Wie man sich denken kann, ist dann genau das eingetreten, und das Buch wurde nach seinem Erscheinen mit Lob und guten Kritiken geradezu überhäuft. Was investigativen Journalismus damals betraf, sprengte Agees Schreibstil bis dahin bekannten Normen. Und das kam an.
Und deshalb ist dieser dreihundertvierundvierzigste Band der Anderen Bibliothek auch genau das, was diese Sammlung ausmacht: die Wiederentdeckung des verschollen Geglaubten. Altes neu sehen. Anderes neu sehen.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln