Zum Buch:
Der Wiener Schriftsteller Hans Adler (1880-1957) hat neben Lyrik, einem Roman und vielen Libretti Erzählungen in literarischen Zeitschriften veröffentlicht. Eine Auswahl liegt in diesem schönen Halbleinenband zum ersten Mal vor, ediert von dem Großneffen des Autors, Professor für Germanistik und Literaturdidaktik. Die Kurzgeschichten sind Miniaturen der Gesellschaft, mit sicherem, eleganten Pinselstrich zu Papier gebracht, von einem Hauch Melancholie überzogen.
Da haben die Abendroben der vornehmen Damen keine Chance gegen den en passant verschmitzt und verlockend aufblitzenden ziegelroten Rock der Hausangestellten Maria in “Toutoujas Brautfahrt”, da hätte der Sekretär Dr. Ferdinand Nuttinger, vorbildlicher Staatsbeamter, doch fast seine Prinzipien über Bord geworfen, als er dem Vater der hübschen Choristin Amélie Fachèr (für die er eigentlich nur ein Zimmer mieten wollte) als der Hofrat von Nuttinger vorgestellt wird. Wie gut, dass im letzten Moment der Herr Kapellmeister sich entschließt, die nicht mehr so ganz jungfräuliche Amélie Faschèr in seine Arme zu schließen. So bleibt dem Herrn Staatsbeamten sein Credo erhalten: “Mich kriegt doch keine dran, mich nicht!”
Ob bei der Abrechnung mit dem Beamtenstand oder den erotischen Eskapaden: Hinter Adlers geschärftem Auge, vor dem keine gesellschaftliche Konvention sicher ist, könnte man Unerbittlichkeit vermuten, wäre da nicht immerzu die leise Selbstironie im Ton des Erzählers. Er ist der Beobachter, der an sein “Ideal” nie heranreichen wird, selbst wenn es eine gepuderte Dame mit Schönheitsfleck ist, die in zweifelhafter Gesellschaft in einem Kellerlokal verkehrt. Dem auch – trotz Seelenverwandtschaft – die blonde Bibiche in “Villa Paradiso” durch die Finger schlüpft, weil er ihr nichts zu bieten hat.
Einer, der die Menschen durchschaut und deshalb nirgendwo dazugehören kann, einer, den die Sehnsucht treibt und dessen einziger Ausweg aus dem profanen Leben das Schreiben ist. Die Atmosphäre in einer Erzählung von Hans Adler ist so intensiv, dass sie tagelang nachschwingt, immer wieder angestoßen von Beobachtungen, die man plötzlich selbst macht, Dissonanzen, falsche Harmonien, die man so, wie sie sind, stehen lassen kann. Es hat sich nicht sehr viel verändert an der menschlichen Gestimmtheit.
Susanne Rikl, München