Zum Buch:
Um sich für die Schufterei des Sterbens zu wappnen, bedürfe es in erster Linie eines hohen Maßes an Bereitschaft, dem Ich mit dem Willen zur Besänftigung zu begegnen versuche, erzählt die Literaturkritikerin Gabriele von Arnim. Und dass eine gehörige Portion Mut ebenfalls dazugehöre, jene Art von Mut, im Angesicht des schleichenden Verlust das Leben wenn nicht zu feiern, so doch zumindest als Geschenk anzunehmen. Einfach sei dies keinesfalls, wie sie betont, und das Bleiben wolle gelernt sein.
Als ihr Mann binnen kürzester Zeit zwei schwere Schlaganfälle erleidet, verändert dies auch ihr eigenes Leben, und zwar auf eine Weise, die sie an die Grenzen der Belastbarkeit zu bringen droht. Doch obgleich ihre Tage beständig begleitet sind von Angst und der Gewissheit des Unausweichlichen, schöpft sie dennoch Kraft aus der Schönheit des Moments, der Unwiderlegbarkeit, dass der Tod etwas Natürliches darstellt und zum Leben dazugehört – und aus der Literatur.
Da ihr Mann infolge seiner Erkrankung weder lesen noch schreiben und sich auch nicht mehr verständlich artikulieren kann – Tätigkeiten, Werkzeuge, die sein ganzes bisheriges Arbeitsleben ausmachten –, sorgt sie dafür, dass er dennoch den Zugang zu seinen geliebten Büchern nicht verliert, indem sie beispielsweise einen Vorleseklub organisiert. Ganze zehn Jahre schreitet sie auf einem Weg, der von ständigem Ringen begleitet ist, in Liebe und aufopferungsvoller Zuneigung, in Streit und vorübergehender Verzweiflung.
Zuweilen fühlt sie sich derart matt, erledigt und innerlich grau, dass sie dem nur dadurch entgegenzuwirken vermag, dass sie sich morgens dafür entscheidet, einen ganz besonders schönen roten Pullover anzuziehen. Denn eines will sie nicht vergessen: Den Willen zum eigenen Überleben. Und als schließlich der Tag des endgültigen Abschieds kommt, begegnet sie dem Schmerz, der sie ins Dunkel zu ziehen droht, mit der Entscheidung, ihre Zukunft nicht vom Wissen um die eigene Vergänglichkeit bestimmen zu lassen.
Geschrieben gegen das Vergessen und die innere Leere ist Das Leben ist ein vorübergehender Zustand eines jener Bücher, die man nur als Geschenk betrachten kann. Gabriele von Arnim hat einen Weg gefunden, dem Schrecken und dem bohrenden Schmerz die Spitze zu nehmen, indem sie sich entschließt, der eigenen Verzweiflung so wenig Raum wie möglich zu lassen, das Unsagbare in Worte zu fassen – und damit zugleich die Tiefen des Ertragbaren auszuloten. Es ist ein trauriges Buch, das von hunderten kleinen Abschieden erzählt. Aber zugleich auch von der Zärtlichkeit des füreinander Daseins und der vollkommenen Bejahung des Lebens.
Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln