Zum Buch:
Kaum einer seiner Generation schreibt so stilsicher und sprachgewaltig wie Martin Amis – aber in Deutschland kennt ihn immer noch kaum jemand. In England zählt er zu den wichtigsten Gegenwartsautoren, eng befreundet mit Salman Rushdie, Ian Mc Ewan und Star-Journalist Christopher Hitchens. Zum 50. Geburtstag schrieb er sich seine Erinnerungen vom Hals, Die Hauptsachen. Und solch ein Memoirenwerk hat der Rezensent noch nicht in Händen gehabt: Ein Leben aufgeschrieben so spannend, vielseitig und faszinierend, als handle es sich um beste Fiktion. William Boyd, gleichaltriger britischer Kollege von Amis, veröffentlichte vor kurzem die fiktive Schriftstellerbiographie Eines Menschen Herz – ein Buch zum Niederknien. Die Überraschung bei Amis: Ihm gelingt es, aus seinem realen, banalen Leben, das nun mal kein Roman ist ein eben doch genauso dichtes, reflektiertes und tiefgehendes Erinnerungswerk zu schaffen, welches weit über jedes Sich-selbst-auf-die-Schulter-klopfen vieler Zeitgenossen hinausgeht. Und nebenbei entdeckt man, wie ein großer Autor das Schreiben gelernt und sich weiterentwickelt hat. Nicht zuletzt, wie prägende Ereignisse im Leben Amis´ die literarische Landkarte seiner Bücher füllen – immer wieder neu: Verschwundene Verwandte, nicht aufhörende Trauer, Rätsel, Erfolglosigkeit, Angst, Familienbande, Alkoholismus, Liebe und viele andere Katastrophen, die nicht selbstmitleidig auf den Tisch gelegt werden, sondern faszinierend distanziert unterm literarischen Mikroskop seziert werden, um dann, sehr zur Faszination des Lesers, reflektierend in lebenskluge Weisheiten umgemünzt zu werden. Freunde des literarischen Klatsches kommen auch ihre Kosten, denn Amis schreibt auch über seine unverschuldete Rolle als Opfer der britischen Boulevardpresse. Liegt es daran, das bereits sein Vater Kingsley ein bekannter englisches Schriftsteller war? Jedenfalls wird Amis immer wieder als Skandalautor abgestempelt, egal, ob er sich seine früh verfaulten Zähne richten lässt, sich von seiner Literaturagentin trennt, sich scheiden lässt oder seine Freundschaft zum Kollegen Julian Barnes in die Brüche geht. Wenn es keine Autobiographie wäre, müsste man sagen: Ein großartiger Roman über Schriftsteller! Aber den hat Amis ja schon geschrieben, er heißt Information.
Robert Griess, Köln