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Autor
Wieland, Rayk

Kein Feuer, das nicht brennt

Untertitel
Roman
Beschreibung

W., der Held aus Rayk Wielands hoch gelobtem Debüt »Ich schlage vor, dass wir uns küssen«, ist jetzt etwa vierzig Jahre alt und Reisereporter. Ungewöhnlich ist nur, dass er nicht reist. Seit 1989 hat er, der im Osten Berlins lebt, kein einziges Mal die Grenzen der ehemaligen DDR überschritten. Die Reisefreiheit, so lautet W.s Credo, ist immer die Reisefreiheit der anderen. Seine Reportagen, die in der renommierten International Geographic Revue erscheinen, sind allesamt erfunden, aber sie kommen beim Publikum außerordentlich gut an. Als jedoch ein Text über Nordkorea von der diplomatischen Vertretung des Landes beanstandet wird, fliegt er auf und aus der Redaktion.

Verlag
Kunstmann Verlag, 2012
Format
Gebunden
Seiten
160 Seiten
ISBN/EAN
978-3-88897-748-0
Preis
16,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Rayk Wieland, geb. 1965, studierte Philosophie und ist gelernter Reisereporter. Mehrtägige Reisen nach Jerusalem, Rom und Moskau. Mitherausgeber des dreibändigen Standardwerks »Öde Orte«. Zuletzt erschien von ihm »Ich schlage vor, dass wir uns küssen«. Er lebt in Hamburg.

Zum Buch:

Erinnern Sie sich noch an die DDR? Ja, es hat sie tatsächlich gegeben, diese Republik der bürokratischen Auswüchse und Absurditäten, den Staat mit der alles und jeden observierenden Stasi, das Land der beschränkten Reisefreiheit mit seinem antikapitalistischen Schutzwall, den Arbeiter- und Bauernstaat des Mangels, der Unfreiheit und Repression. Zu den lesenswertesten Wende-Romanen gehört für mich „Ich schlage vor, dass wir uns küssen“ (2009) von Rayk Wieland: 20 Jahre nach der Wende wird der noch immer in Berlin lebende Rayk W. zu dem Symposion „Dichter. Dramen. Diktatur. Nebenwirkungen und Risiken der Untergrundliteratur in der DDR“ eingeladen. Er hält das Ganze für eine Verwechslung, kann er sich doch nicht erinnern, jemals ein Untergrundlyriker gewesen zu sein. Neugierig geworden, liest er seine Stasi-Akte, die er bis dahin nicht kannte, und fällt aus allen Wolken: Der vollkommen unpolitische Jugendliche Rayk, der seiner damaligen, weil in München lebenden leider unerreichbaren, aber deshalb vielleicht umso heißer begehrten Angebeteten Liane Briefe und Liebesgedichte schrieb, wurde als Staatsfeind verdächtigt und über mehrere Jahre aufwändig observiert. – Es ist großartig, wie Wieland die Paranoia und den Überwachungswahn im DDR-Staat humorvoll und mit fabelhaftem Wortwitz persifliert, ohne dabei den Ernst des Themas aus den Augen zu verlieren.

Dieser Tage ist unter dem Titel „Kein Feuer, das nicht brennt“ der neue Roman von Rayk Wieland erschienen, man könnte sagen, die Fortsetzung. Man kann dieses Buch mit großem Genuss lesen, auch wenn man den ersten Roman nicht kennen sollte. Zur Steigerung des Vergnügens rate ich dennoch, die Reihenfolge einzuhalten und beide zu lesen. Sie werden es nicht bereuen.

Der inzwischen etwa vierzigjährige Rayk W. hat sein Auskommen als Autor für das renommierte „Glamour-Travel-Magazin“ International Geographic Revue gefunden, dem „Leitmedium für einen Tourismus von Touristen, die keine Touristen sein wollten, vielmehr singuläre Individualisten, ausgewiesene Kenner von Kreditkarten-Akzeptanzstellen, wahre Pioniere, die Postkarten nachempfundene Traumzonen erkunden, ohne den Bus zu verlassen, und die außer einer edlen Luxusherberge mit Marmorbädern und Sterneköchen auf praktisch nichts angewiesen sind“. Nicht nur sein Chef, Florian von Andersheim, „selbstgekürter und –verliebter Reisepapst der Reisekirche“ schätzt Rayks Artikel sehr, auch beim Publikum sind sie überaus beliebt. Niemand ahnt indes, dass der Reisereporter – bis auf einen kurzen Ausflug nach Schöneberg direkt nach der Maueröffnung – noch nie über die Grenzen der ehemaligen DDR hinausgekommen ist, und dass all seine Reiseberichte zwar einwandfrei recherchiert, jedoch völlig frei erfunden sind. „Ein bisschen Internet, eine Handvoll Reiseführer, Lexika und Literatur, dazu ein paar Telefonate – mehr Authentizität braucht kein Mensch. Weiterreichende Expeditionen als die vom Schreibtisch zum Kühlschrank sind nicht nötig.“ Über zehn Jahre geht das gut, bis der Schwindel mit einem Reisebericht über Nordkorea, den „letzten weißen Fleck auf der Weltkarte des touristisch-industriellen Komplexes“ auffliegt. Von da an überschlagen sich die Ereignisse. Ein Feuerwerk an überraschenden Wendungen und oft zum Brüllen komischen Situationen treibt die Handlung voran und den Protagonisten auf die erste Reise seines Lebens:zur Großen Chinesischen Mauer, zu Feuern die nicht brennen, und zu einem Wiedersehen mit Liane.

Wie wirklich ist die Wirklichkeit? Was macht das Original aus, was ist Fälschung, was Ersatz? Welche Rollen spielen wir? – Mit wohl kalkulierter Flapsigkeit hinterfragt Rayk Wieland Mechanismen, mit denen wir Realität interpretieren und in unserer Welt des grenzenlosen Konsums, in der alles zur Ware werden kann, wahrzunehmen meinen. Das ist klug und unterhaltsam und absolut lesenswert.

Ralph Wagner, Ypsilon Buchladen & Café