Zum Buch:
Die meisten Pragreisenden haben wahrscheinlich nicht die geringste Ahnung, was wenig abseits von Altstädter Ring und Karlsbrücke, gleich hinter Bierstube und Wenzelsplatz, wirklich vor sich geht. Die Frage, wer diese Stadt eigentlich beherrscht, stellt sich ihnen unter Umständen gar nicht. In Michal Vieweghs Thriller „Die Mafia in Prag“ erfährt der Leser, dass es einen gibt, der auch den trübsten Sumpf durchblicken und das auch beweisen kann. Er ist deshalb in größter Gefahr.
Darek Balík, ehemaliger Lobbyist, ist vogelfrei und darauf angewiesen, sich mit Informationen an Presse und Polizei Lebenszeit zu erkaufen. Die Polizei in Prag jedoch ist weder Freund noch Helfer, sondern im Auftrag des Innenministers damit beschäftigt, sich mit anderen Polizeieinheiten Verfolgungsjagden durch die Stadt zu liefern. Auf ihren Wagen steht das offizielle Motto der tschechischen Polizei „Helfen und Beschützen“, einer der wenigen nicht korrumpierten Polizisten findet allerdings, „Nichtstun und trotzdem Kassieren“ sei ein angemessenerer Leitspruch für eine so durch und durch korrupte Institution.
Michal Viewegh, auch in Deutschland bekannt als Autor von „Blendende Jahre für Hunde“ oder „Engel des letzten Tages“, legte 2011 mit „Die Mafia in Prag“ seinen ersten Krimi vor, der jetzt auch auf Deutsch erschienen ist. Interessanterweise passt Vieweghs direkte Sprache, voller Sex und Crime, wunderbar zum Genre und lässt den Leser das Buch nur widerwillig aus der Hand legen.
Unfassbar einsam ist es um den letzten Journalisten, Alexandr Lounský, und den letzten Polizisten mit Integrität bei ihrem Wettrennen gegen die korrumpierte Macht in Prag geworden. Es ist beinahe so, als würden sie in der Prager U-Bahn die Rolltreppen entgegen der Fahrtrichtung hinaufrennen müssen, während ihre Gegner – korrupte Bürgermeister, Minister und Polizisten, Mafiosi und ihre Schläger – süffisant lächelnd auf ihre unfassbar teuren Uhren tippend an ihnen vorüberziehen. Klar ist: in diesem Rennen geht es um die absolute Macht über Prag und letztlich um die Zukunft der Tschechischen Republik.
Viewegh selbst beschreibt seinen Roman als Collage. Es muss sich erst zeigen, wer auf welche Seite gehört, damit der klassische Kampf des Guten gegen das Böse beginnen kann. Unklar ist zunächst auch, welche Rolle die unwahrscheinlich schöne und kluge Börsenmaklerin Diana Renková und der Sportredakteur Marek Konwicki in diesem verwickelten Geflecht politischer Ränke spielen.
Dass die Figuren allesamt wie schematisch gezeichnete Strichmännchen auf der Übersichtstafel eines Fahnders wirken, ist weniger störend als verstörend: ohne Zweifel sind sie Abgüsse aus dem wirklichen Leben; ihre hohlen Formen können jederzeit wieder mit Leben gefüllt werden und ihr Unwesen treiben.
Nach und nach fügt sich alles zusammen und macht einen schaudern. Ein unangenehmes Gefühl bleibt am Ende, bedenkt man, wie eng die Geschehnisse der Wirklichkeit nachempfunden sind. In einem Nachwort weist der Autor darauf hin, dass das zum Teil absurd skrupellose Handeln der Mächtigen nicht seiner Fantasie entsprungen, sondern der Wirklichkeit nachgebildet ist. Schon Václav Havel warnte vor „Mafia-Kapitalismus“ in Tschechien unter Wendekarrieristen wie Václav Klaus. Viewegh beschreibt nun die Auswüchse kurz vor dem Zusammenbruch eben dessen Regierung.
Anders als bei einem gewöhnlichen Krimi genügt hier nicht die „willentliche Aussetzung des Ungläubigkeit“ – also das absichtliche Sich-Einlassen auf das Unheimliche in der im Grunde ungefährlichen Fiktion – als Erklärung für das Unbehagen, das den Leser befällt. Ein Krimi also nicht nur für Krimifreunde.
Alena Heinritz, Mainz