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Das letzte Jahrhundert der Pferde

Autor
Raulff, Ulrich

Das letzte Jahrhundert der Pferde

Untertitel
Geschichte einer Trennung
Beschreibung

Nominiert für den Leipziger Buchpreis 2016 Sparte Sachbuch

Ulrich Raulff, Leiter des Literaturarchivs in Marbach, Autor hochgelobter und prämierter Bücher über Aby Warbug und Stefan George, ist mit Texten zu Geschichte oder Literatur bekannt geworden. Nun hat er ein neues Buch geschrieben, und überraschend geht es diesmal um – Pferde! Darum, wie sich die Jahrtausende währende Bindung zwischen Mensch und Pferd – Raulff nennt es einen „kentaurischen Pakt“ – binnen eines (langen) Jahrhunderts durch den Einfluss der Technik nicht nur verändert, sondern aufgelöst hat. Wie einem Wesen, das aus sämtlichen Bereichen des Menschen nicht wegzudenken war, nur noch die Nische von Sport und Freizeit geblieben ist. „Das letzte Jahrhundert der Pferde“ ist ungeheuer kenntnis- und materialreich, dazu mit vielen Abbildungen ausgestattet – man liest es voller Interesse und Vergnügen.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Verlag C.H. Beck, 2015
Seiten
461
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-406-68244-5
Preis
29,95 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Ulrich Raulff, geb. 1950, Studium der Philosophie und Geschichte. Ab 1997 Feuilletonchef der FAZ; 2001-2004 Leitender Redakteur im Feuilleton der SZ. Seit 2004 Direktor des Deutschen Literaturarchivs Marbach. Träger des Anna-Krüger-Preis des Wissenschaftskollegs in Berlin für wissenschaftliche Prosa (1996) und des Hans-Reimer-Preises der Aby-Warburg-Stiftung (1997).

Zum Buch:

Wer von den Jüngeren kann sich vorstellen, dass es Mitte der 50er Jahre, zu Beginn des Wirtschaftswunders in Deutschland, hinter einem großen Berliner Mietshaus eine kleine Molkerei gab, in deren Ställen ein paar Kühe standen, deren Bedarf an Heu von einem dicken braunen Kaltblüter gleichmütig durch den Verkehr herangeschafft wurde? Oder dass in Kreuzberg zweispännige Wagen voller Bierfässer, die die Kneipen belieferten, zum normalen Straßenbild gehörten? Inzwischen sind Pferde hierzulande Freizeitgeschöpfe geworden, Traumpartner für pubertierende Mädchen, Reittiere für den gestressten Städter, Therapiegehilfen oder hochgezüchtete Maschinen für den professionellen Renn-, Reit- und Springsport. Aber das ist in der langen gemeinsamen Geschichte von Mensch und Pferd eine kurze Episode.

Jahrtausendelang nutzte der Mensch das Pferd als Lasttier, für den Transport von Gütern, als Verkehrsmittel, für die Jagd und vor allem immer wieder für Kriege. Nie wurden so viele Pferde benötigt und „verbraucht“ wie in kriegerischen Auseinandersetzungen, wobei der 1. Weltkrieg mit acht Millionen getöteter Pferde einen Höhepunkt bildete. Aber selbst im 2. Weltkrieg waren sie, trotz der weitgehenden Mechanisierung und Technisierung, besonders in den unwegsamen Gegenden Osteuropas unentbehrlich.

Kaum ein Tier ist vom Menschen dermaßen ausgebeutet und misshandelt worden wie das Fluchttier Pferd. Als Grubenpferd in dauerhafter Dunkelheit lebend, als Rennpferd zu Tode gehetzt, als Kutsch- und Omnibuspferd durch die „Pferdehölle“ der Großstädte gepeitscht oder als „Kampfmaschine“ im Krieg missbraucht. Aber gleichzeitig wurden Pferde für ihre Kraft und Anmut bewundert, als Herrschaftssymbol geschätzt, mythisch überhöht und als Inbegriff der Freiheit geliebt.

Diese doppelte Beziehung verfolgt Raulff auf unterschiedlichen Themenfeldern: Geschichte, Kulturgeschichte, Militärgeschichte, Kunst und Literatur. „Das letzte Jahrhundert der Pferde“ ist ungeheuer materialreich, erschlägt den Leser aber nicht mit trockenen Fakten. Das Buch ist in große Abschnitte gegliedert, innerhalb derer der Leser je nach Interesse hin- und herspringen kann. Und es besticht nicht nur durch die profunde Kenntnis des Autors. Der Leser spürt dessen Verbundenheit mit dem Thema, die durch eine Nachkriegskindheit auf dem Land entstanden ist. In einem Radiointerview hat Raulff, Leiter des Literaturarchivs in Marbach und Autor hochgelobter Bücher über Aby Warburg und Stefan George, auf die Frage, warum er jetzt über Pferde schreibe, lapidar geantwortet: er sei Westfale, seine Mutter und eine Tante seien Reiterinnen gewesen. Am Ende seiner Einleitung zum Buch klingt es etwas persönlicher: „Geschrieben habe ich es für meine Mutter, die die Pferde liebte und verstand. Ob es ihr gefallen hätte, werde ich nicht mehr erfahren. Zehn Jahre sind vergangen, seit ich sie zuletzt hätte fragen können.“ Als Leserin von heute kann ich sagen, ich habe das Buch mit großem Interesse und Vergnügen gelesen, obwohl ich Angst vor Pferden habe …

Ruth Roebke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt