Zur Autorin / Zum Autor:
Simone Böcker ist Journalistin und Expertin für Ernährungs- und Naturthemen. Insbesondere beschäftigt sie sich mit Wildkräutern, die sie Respekt und Dankbarkeit für die Natur gelehrt haben. Sie lebt in Berlin.
Das Konzept des „Rewilding“ beinhaltet in erster Linie, dass der Mensch Kontrolle abgibt und die Natur sich selbst überlässt. Hieraus – so die Erfahrung in Projekten weltweit – entstehen oft in erstaunlich kurzer Zeit (wieder) intakte Ökosysteme, die Tieren und Pflanzen Lebensräume bieten und für saubere Luft, sauberes Wasser und fruchtbare Böden sorgen können.
Die Journalistin Simone Böcker nimmt uns mit in große und kleine, bekannte und unbekannte Rewilding-Projekte und dass es hierbei nicht zu einem verklärten Blick auf das Zusammenspiel von Mensch und Natur kommt, macht die Qualität des hier empfohlenen Buches aus. Es geht um unseren hinterfragenswerten Nutzungsanspruch an Boden, Pflanzen und Tiere und um die Notwendigkeit, dass der Mensch sich wieder als Teil der Natur begreift, mit ihr eine neue Beziehung eingeht. Die Lektüre von Rewilding ist erhellend und informativ und hinterlässt uns Lesende mit dem hoffnungsfrohen Gefühl, dass vielleicht doch nicht alles zu spät ist!
(ausführliche Besprechung unten)
Experten schätzen, dass derzeit täglich bis zu 150 Pflanzen- und Tierarten aussterben. Lebensräume auf der ganzen Welt beginnen sich zu verändern, zu schrumpfen und durch den Klimawandel sogar ganz zu verschwinden. Diese und viele weitere wissenschaftliche Analysen füllen die Nachrichten, bedrücken und lähmen uns, individuell, als Gesellschaft, aber auch politisch.
Im Gegensatz zu Elisabeth Kolberts 2021 erschienenem Buch Wir Klimawandler, in dem die amerikanische Journalistin von menschlichen Eingriffen in die Natur berichtet, die meist nach hinten losgingen, und von aberwitzigen Versuchen der Wiedergutmachung, widmet sich die deutsche Journalistin Simone Böcker dem quasi entgegengesetzten Ansatz: mehr Wildnis wagen.
Nicht das Beherrschen und Kontrollieren der Natur, sondern das Nicht-mehr-Eingreifen bildet die unverzichtbare Basis des Rewilding-Ansatzes. Es geht um die Wiederherstellung natürlicher Ökosysteme in zuvor vom Menschen in Kulturlandschaften umgewandelten Gebieten. Dazu bedarf es in erster Linie Raum und Geduld, häufig aber auch einer Wiederansiedelung bestimmter, sogenannter Schlüssel-Tierarten, oder einer Einschränkung der Beweidung z.B. durch Schafe. George Monbiot, ein britischer Autor und politischer Aktivist, erfindet für das kahle, artenarme Hochland seiner britischen Heimat – das in touristischen Zusammenhängen gerne als wahres Paradies für Abenteurer und Naturliebhaber beschrieben wird – den Begriff „sheep-wrecked“ (ein Wortspiel, das aus dem Schiffbruch einen „Schafbruch“ macht). Damit illustriert er, wie erschreckend begrenzt die Fähigkeit des modernen Menschen ist, Natur jenseits von hübsch anzusehenden grünen Hügeln wahrzunehmen.
Die vielleicht wichtigste Grundbedingung für das Rewilding-Konzept? Die Natur braucht Platz, wenn ihre grundsätzliche und ganz erstaunliche Fähigkeit zur Regeneration und Gesundung wieder in Gang kommen soll, darin sind sich die meisten Wissenschaften einig. Müssen wir Menschen also doch unseren Nutzungsanspruch der Natur unterordnen, damit der Planet auch in 100 Jahren noch bewohnbar ist?
Böcker nimmt uns in Rewilding-Projekte weltweit mit, wie z.B. in den amerikanischen Yellowstone-Nationalpark, in das niederländischen Schutzgebiet Oostvaardersplassen oder in das wilde Oder-Delta. Wir erfahren von großen und kleinen Projekten, oft initiiert von Privatpersonen, die dem Verlust der Arten in ihrer Heimat nicht mehr tatenlos zusehen wollten. Dass es hier nie um einen romantisierenden oder verklärten Blick auf das Zusammenspiel von Mensch und Natur, sondern auch um nachhaltigen wirtschaftlichen Nutzen geht, macht eine der Qualitäten des hier empfohlenen Buches aus. Was passiert mit den Menschen, die bewirtschaftete Flächen frei- und somit der Natur zurückgeben? „Nature-Based Economy“ und „naturfreundliche Landwirtschaft“ werden ebenso unter die Lupe genommen wie ganz individuelle Möglichkeiten, natürliche Prozesse und Artenvielfalt im eigenen Garten zu begünstigen.
Ein mögliches Fazit der Lektüre von Rewilding kann auf jeden Fall sein, dass der Mensch desto eher bereit ist, die Natur zu schützen, je besser er seine direkte Umgebung kennt, (wieder) mit allen Sinnen wahrnimmt, was um ihn herum passiert, und eine Beziehung zu Pflanzen und Tieren in seiner Umgebung eingeht. Die Lektüre macht Hoffnung und hinterlässt uns Lesende mit dem ermutigenden Gefühl, dass vielleicht doch nicht alles zu spät ist!
Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt