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Autor
Walker, Nico

Cherry

Untertitel
Roman. Aus dem Amerikanischen von Daniel Müller
Beschreibung

Ein junger Mann eilt ziellos durch sein eher verkorkstes Leben und sucht dringend Halt, indem er viel zu früh heiratet. Er erlebt die Schrecken eines Krieges als Sanitäter mit und gibt sich dem Rausch der Drogen hin, um das zu überstehen. Sein letzter Bankraub geht schief – und das zu seinem Glück.
Ein Roman, so ehrlich und brutal, wie man es sich nur wünschen kann.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Heyne Verlag, 2019
Format
Gebunden
Seiten
384 Seiten
ISBN/EAN
978-3-453-27197-5
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Nico Walker stammt ursprünglich aus Cleveland. Als Kriegssanitäter war er an mehr als 250 Einsätzen im Irak beteiligt. Derzeit sitzt er in Kentucky eine elfjährige Gefängnisstrafe wegen zehn Banküberfällen ab. »Cherry« ist sein Debütroman.

Zum Buch:

»Da wusste ich, dass die Sache böse enden würde, denn ich war ein beschissener Feigling mit einem durch und durch verrotteten Herzen.«

Die Geschichte beginnt kurz vor dem eigentlichen Ende. Der namenlose Ich-Erzähler ist fünfundzwanzig Jahre alt, lebt mit seiner nur unwesentlich jüngeren Frau in einem heruntergekommenen Viertel in Cleveland, Ohio, und bereitet sich auf einen weiteren Banküberfall vor. Wie immer hat er sich für eine kleinere, überschaubare Filiale entschieden, sodass er davon ausgehen kann, die Sache schnellstmöglich und ohne Komplikationen über die Bühne zu bringen. Er wird zum Schalter gehen und die junge Dame dahinter ansprechen, höflich, aber bestimmt. Er wird ihr kurz seine Spielzeugpistole zeigen und dabei bedeutungsvoll mit dem Kopf nicken, denn eine Maske trägt er nicht. Das Geld, immer nur ein paar rasch zusammengeraffte Tausender, wird er sich in die Hosentaschen seiner löchrigen Jeans stopfen, wird sich bedanken und dann eiligst, aber unauffällig das Weite suchen. Ein Gentleman-Bankräuber ist er jedoch nicht, vielmehr ein Junkie, der seinem Dealer, der gerade selbst einen Schuss vertragen könnte und der zufällig gerne liest, mittlerweile ziemlich viel Geld schuldet. Dass dieser Banküberfall sein zehnter und letzter sein wird, kann er selbstverständlich noch nicht wissen. Und doch hatte er am Morgen schon so ein komisches Gefühl gehabt …

Der Debütroman von Nico Walker weist nur allzu überdeutliche Parallelen zu seiner eigenen Biografie auf. Da ist zunächst die Sucht, in die der Sohn aus gutbürgerlicher Familie recht früh abdriftet. Dann folgt die nur zwei Wochen andauernde Ausbildung zum Klinikpraktikanten als Vorbereitung auf seine Zeit als Sanitäter im Irakkrieg. Walker nahm wie sein Protagonist an unzähligen Einsätzen teil, trat als Cherry, als einfacher Schütze, auf Patrouillen Dutzende und Dutzende Türen ein, versorgte eher notdürftig verwundete Kameraden, sah sich dem Irrsinn einer hochgefährlichen und durch zweifelhafte Beweise vorangetriebenen Unternehmung ausgesetzt und verbrachte seine freie Zeit mit Pornos, mit Kartenspiel oder dem Schnüffeln von Druckluftspray.

Mit Orden dekoriert, desillusioniert und von Albträumen geplagt, kehrt er zurück in die Staaten, wo er wieder auf seine Frau trifft, die derweil ihr eigenes Leben gelebt und das seine gehasst hat. Sie lieben sich. Sie streiten sich. Alles unter dem Einfluss harter Drogen, und als sie dann beschließen, zusammenzuziehen, wissen sie im Grunde beide, dass das keine so gute Idee war.

Doch da ist es für einen Rückzieher bereits zu spät. Sie stecken längst in einer Abwärtsspirale, einem Weg, der gepflastert ist mit den seltsamsten Gestalten, mit Hass und Betrug, Gewalt und Leidenschaft und nicht zuletzt mit den Drogen als geeignetem Schmiermittel, um dies alles zu ertragen. Der Gedanke, mal eine Bank überfallen, kommt daher so zwangsläufig wie das Verlangen nach dem nächsten Schuss.

Der Roman Cherry ist ein Tritt in die Magengrube, der Abgesang auf eine auf den Hund gekommenen Gesellschaft und die schonungslose Abrechnung einer ganzen Generation, die sich im Stich gelassen fühlt. Cherry ist schnell, steckt voller Ehrlichkeit und Zorn und bitterem Humor, berührt und trifft direkt ins Mark. Und das mit einem Sog, dem man sich sofort hingibt.

Zur Zeit sitzt Nico Walker die letzten Jahre seiner Haftstrafe in einem Staatsgefängnis in Kentucky ab, wo auch sein Debütroman entstanden ist, und man darf hoffen, von diesem außergewöhnlichen jungen Autor – einmal in Freiheit – noch viel zu hören.

Axel Vits, Der andere Buchladen, Köln