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Iva atmet

Autor
Lasker-Berlin, Amanda

Iva atmet

Untertitel
Roman
Beschreibung

Iva und Roy sind ein Paar obwohl ihre Familiengeschichten nicht unterschiedlicher sein könnten. Roys Großvater starb als politisch aktiver Kommunist, und die Lebensaufgabe seines Vaters schien das Aufdecken der Schuld von Ivas Familie zu sein. Deren Großvater war ein Nazi, der, schon früh entnazifiziert, wieder erfolgreich in großen Geschäften mitmischte, ihr Vater ein erfolgreicher Anwalt; Iva erinnert sich vage an Täter-Treffen in ihrer frühen Kindheit und das Schweigen gegenüber den Kindern.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Frankfurter Verlagsanstalt, 2021
Seiten
320
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-627-00285-5
Preis
22,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Amanda Lasker-Berlin, geboren 1994 in Essen, inszenierte mit 18 Jahren ihr erstes Theaterstück. Nach einem Studium der Freien Kunst an der Bauhaus-Universität in Weimar studiert sie Regie an der Akademie für Darstellende Kunst Baden-Württemberg. Ihre Theaterstücke und Prosa wurden bereits mehrfach ausgezeichnet, Elijas Lied (FVA 2020) wurde mit dem Debütpreis der lit.COLOGNE 2020 ausgezeichnet und für Das Debüt 2020 – Bloggerpreis für Literatur nominiert. Sie lebt in Frankfurt am Main.

Zum Buch:

Iva und Roy sind ein Paar obwohl ihre Familiengeschichten nicht unterschiedlicher sein könnten. Roys Großvater starb als politisch aktiver Kommunist, und die Lebensaufgabe seines Vaters schien das Aufdecken der Schuld von Ivas Familie zu sein. Deren Großvater war ein Nazi, der, schon früh entnazifiziert, wieder erfolgreich in großen Geschäften mitmischte, ihr Vater ein erfolgreicher Anwalt; Iva erinnert sich vage an Täter-Treffen in ihrer frühen Kindheit und das Schweigen gegenüber den Kindern.

Diese Wortlosigkeit, die angedeutete Verwicklung nicht nur in Naziverbrechen, sondern auch in den deutschen Kolonialismus – die sehnsuchtsvoll geschönten Erinnerungen der Großmutter an eine Kindheit in Deutsch-Südwest, die einzementierten afrikanischen Köcherbäume vor dem Haus, die mahnend alles überschatten – das alles versucht Iva hinter sich zu lassen, und schlägt ihren eigenen Weg ein. Mit ihrem ehemaligen Schulfreund Roy gründet sie eine eigene Familie und wird Ärztin. Ihre berufliche Getriebenheit wird schnell als nicht gelingende Bewältigungsstrategie eines vagen Schuldgefühls erkennbar; ihr chronisches Asthma nimmt ihr besonders dann die Luft zum Atmen, wenn sie sich ihrer Familie zuwenden muss. Als der Vater einen Schlaganfall erleidet, überwindet Iva ihren nur schwer in Worte zu fassenden Widerwillen, nimmt Urlaub, lässt Mann und Kind zu Hause, kümmert sich und holt ihren sterbenden Vater aus der Klinik zurück in das kalte, abweisende große Haus, in dem er seit Jahren mit einer Haushälterin lebt.

Zu ihren Geschwistern und ihrer Mutter hat Iva schon lange keinen Kontakt. Aber als der Vater nun im Koma abwesend und stumm seine letzten Tage zubringt, versucht sie, über das Internet ihre Schwester Jette und ihren Bruder Alexander aufzuspüren. Alexander ist schnell gefunden, sein skandalträchtiges Leben gut dokumentiert. Auch Jette macht ihr hippieartiges Leben in einem Blog öffentlich, filmt sich selbst, während sie durch die Welt tingelt, ganz offensichtlich auf der Suche nach einer irgendwie gearteten Heimat.

Iva dringt immer tiefer ein in den bedrückenden Sumpf der Familiengeschichte, wortkarge Telefonate mit Roy und ihrem kleinen Sohn Shlomo verbinden sie nur noch lose mit ihrem eigenen Leben. Aber als sie in einer Bar die extrovertierte Ismene kennenlernt, von der offen bleibt, ob sie tatsächlich Prostituierte oder doch eher erfolglose Künstlerin ist, verliert Iva auch in anderer Hinsicht zunehmend den Boden unter den Füßen.

Amanda Lasker-Berlin beschreibt die inneren Prozesse der Protagonistin in einem lakonisch-unaufgeregten Ton. 1994 geboren, gehört die Autorin einer nachgeborenen Generation an, die eigene Wege gehen muss, um den schwelenden Themen kolonialer Schuld und deutschen Naziverbrechen nachzuspüren. Spannend und lesenswert fügt sich so das Leben der Eltern und Großeltern und die aktuellen heutigen Themen wie Identität, Selbstverwirklichung und globale Verantwortung zu einem Mosaik zusammen. Dass manche Aspekte dabei eher angedeutet bleiben, ist meiner Ansicht nach kein Mangel, vielmehr verdeutlicht es die Vielschichtigkeit und Vielstimmigkeit heutiger Lebensentwürfe.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt