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Autor
Suzman, James

Sie nannten es Arbeit

Untertitel
Eine andere Geschichte der Menschheit. Aus dem Englischen von Karl-Heinz Siber
Beschreibung

Das öffentliche Interesse an GPT-3 ist enorm und so intensiv wie nie wird gerade darüber diskutiert, welche Aufgaben Künstliche Intelligenz übernehmen kann. Auch Menschen in Berufsgruppen, die sich lange sicher wähnten, nie von einer Maschine ersetzt werden zu können, diskutieren nun die Risiken durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Erstaunlich wenig wird über die Chancen gesprochen: Könnten wir nicht endlich aufhören zu arbeiten oder unsere Arbeitszeit nicht zumindest wesentlich reduzieren, um uns angenehmeren Dingen zu widmen?

Sie nannten es Arbeit steht sicher in der Tradition der angenehm geschriebenen und dennoch nicht weniger informativen Sachbücher, die mit faszinierenden Beispielen und verblüffenden Fällen in komplexe Sachverhalte eintauchen lassen. Suzman stellt wichtige Fragen, die wir in einer Situation, in der Wachstum keine Alternative mehr ist, als Inspiration in unser Nachdenken über die Zukunft der Arbeit aufnehmen können.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
C.H.Beck Verlag, 2022
Format
Gebunden
Seiten
398 Seiten
ISBN/EAN
978-3-406-76548-3
Preis
26,95 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

James Suzman ist Sozialanthropologe und Autor des Buches «Affluence without Abundance» (Wohlstand ohne Überfluss), in dem er die Gesellschaften der Jäger und Sammler als erste Wohlstandsgesellschaften porträtierte. Er ist Direktor des anthropologischen Thinktanks Anthropos und Fellow am Robinson College der Cambridge University.

Zum Buch:

Das öffentliche Interesse an GPT-3 ist enorm und so intensiv wie nie wird gerade darüber diskutiert, welche Aufgaben Künstliche Intelligenz übernehmen kann. Auch Menschen in Berufsgruppen, die sich lange sicher wähnten, nie von einer Maschine ersetzt werden zu können, diskutieren nun die Risiken durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz. Erstaunlich wenig wird über die Chancen gesprochen: Könnten wir nicht, wie es zum Beispiel Paul Lafargue in seiner politischen Utopie Das Recht auf Faulheit (1880) überlegt, nun nicht endlich aufhören zu arbeiten oder unsere Arbeitszeit nicht zumindest wesentlich reduzieren, um uns angenehmeren Dingen zu widmen? Warum arbeiten wir nach wie vor so viel, obwohl das gar nicht nötig wäre, um als Mensch zu überleben? Diesen zentralen Fragen geht der in Cambridge lehrende Sozialanthropologe James Suzman in seinem Buch Sie nannten es Arbeit. Eine andere Geschichte der Menschheit nach und verfolgt darin die Geschichte der Erde bis weit vor die Entwicklung der ersten Menschen zurück.

Arbeit nämlich, so seine Idee, ist etwas, das alles bewegt, was lebt, sogar die ersten einzelligen Organismen, die es auf der Erde gab. Immer wenn es einen Energieüberschuss gibt, so Suzmans zentrale These, verwandeln Lebewesen diese Energie dem Entropiesatz entsprechend in Arbeit – und das auch dann, wenn sie damit nicht zwangsläufig Grundbedürfnisse befriedigen. Sehr anschaulich macht Suzman diese Idee am Beispiel des Webervogels, der beständig sehr aufwendige Nester baut und sie dann wieder zerstört. Die wahrscheinlichste Begründung dafür ist nicht, dass er damit Weibchen beeindrucken will, sondern dass er schlicht zu viel Energie hat.

Ist Arbeit also eine anthropologische Konstante? Können wir schlicht nicht anders als ständig zu arbeiten? Nein, sagt Suzman und verweist bei seiner Antwort immer wieder auf die Ju/‘Hoansi, ein Jäger- und Sammler-Volk in der namibischen Kalahari-Wüste, das sich gegen Arbeitsethos und Produktivitätsdispositiv erstaunlich immun zeigt, und darauf, wie steinzeitliche Jäger und Sammler in nur 15 Stunden in der Woche ihr Auskommen sichern. Sie sorgen nur für so viel Nahrung und Schutz, wie unbedingt nötig. Bei allen weiteren Beispielen geht es Suzman dann immer wieder um diese zentrale Frage: Wenn es hier gelingt, warum nicht auch anderswo? Wieso haben die meisten Menschen so ein schwieriges Verhältnis zur Arbeit, wo es doch auch anders geht?

Die eingangs erwähnte Frage nach den Möglichkeiten, Arbeit an Maschinen auszulagern, ist natürlich alles andere als neu. Das zeigt Suzman sehr anschaulich daran, wie in der Antike über Arbeitsmaschinen nachgedacht wurde. Aristoteles etwa war der Meinung, erst wenn Maschinen alle Arbeit übernähmen, brauche es keine Sklaven mehr. Auch John Maynard Keynes Utopie basiert auf der Idee, dass Maschinen irgendwann alle Arbeiten übernehmen, die notwendig sind, um die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken.

Suzman lässt immer wieder die Lösung anklingen: Wenn die Menschen nur ihre Ansprüche herunterschrauben würden, müssten sie auch nicht mehr so viel arbeiten. Den Beginn der Idee, dass mehr Arbeit zu mehr Wohlstand und Glück führt, verortet er eindeutig mit dem Beginn des Ackerbaus und der Sesshaftigkeit. In dem Moment, in dem der Mensch sich nicht einfach ernährt, sondern auch für die Ernährung zu einem späteren Zeitpunkt sorgen muss (zum Beispiel in der kalten Jahreszeit), lebt er in dem Bewusstsein, dass mehr Arbeit als die für die momentane Ernährung notwendige den entscheidenden Unterschied für das Überleben in der Zukunft bzw. für den zukünftigen Wohlstand ausmacht. Zugleich verschiebt sich in dem Moment des Beginns des Ackerbaus das relationale Weltbild des Menschen allmählich hin zu einem anthropozentrischen: Der Mensch hat ein instrumentelles Verhältnis zur Natur, und das, was ihm ein Naturereignis zunichte macht, muss er durch seine eigene Arbeit kompensieren.

Sie nannten es Arbeit steht sicher in der Tradition der angenehm geschriebenen und dennoch nicht weniger informativen Sachbücher, die mit faszinierenden Beispielen und verblüffenden Fällen in komplexe Sachverhalte eintauchen lassen. Suzman hat mit seinem Buch sicherlich nicht das letzte Wort zum Thema gesagt, und manches scheint stark vereinfachend, aber er stellt wichtige Fragen, die wir in einer Situation, in der Wachstum keine Alternative mehr ist, als Inspiration in unser Nachdenken über die Zukunft der Arbeit aufnehmen können.

Alena Heinritz, Innsbruck