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Lichter als der Tag

Autor
Bonné, Mirko

Lichter als der Tag

Untertitel
Roman
Beschreibung

Auf der Longlist für den Deutschen Buchpreis 2017

In Mirko Bonnés Roman Lichter als der Tag bricht in Rückblenden eine umfassende und über Jahre gut unter den alltäglichen Anforderungen verborgene Lebenslüge langsam auf. Zu Anfang sind es eher diffuse Stimmungen, die anklingen lassen, dass „etwas“ nicht in Ordnung oder eigentlich fast nichts an dem Lebensgerüst von Raimund Merz aufrichtig ist.

Lichter als der Tag fragt den Leser nach Lebenslügen oder vermeintlich notwendigen Zugeständnissen. Wenn man ihn lässt, rüttelt dieser Roman vorsichtig an den eigenen Routinen und Überzeugungen über Beziehung, Freundschaft und das Leben an sich.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Schöffling Verlag, 2017
Seiten
336
Format
Gebunden
ISBN/EAN
978-3-89561-408-8
Preis
22,00 EUR
Status
lieferbar

Zur Autorin / Zum Autor:

Mirko Bonné, geboren 1965 in Tegernsee, lebt in Hamburg. Er veröffentlichte Romane, Gedichtbände, Aufsätze und Reisejournale und übersetzte u. a. Sherwood Anderson, Emily Dickinson, John Keats, Grace Paley und William Butler Yeats. Für sein Werk wurde Mirko Bonné vielfach ausgezeichnet, zuletzt mit dem Rainer-Malkowski-Preis (2014). Sein Roman Nie mehr Nacht stand 2013 auf der Shortlist zum Deutschen

Zum Buch:

In Mirko Bonnés Roman Lichter als der Tag bricht in Rückblenden eine umfassende und über Jahre gut unter den alltäglichen Anforderungen verborgene Lebenslüge langsam auf. Zu Anfang sind es eher diffuse Stimmungen, die anklingen lassen, dass „etwas“ nicht in Ordnung oder eigentlich fast nichts an dem Lebensgerüst von Raimund Merz aufrichtig ist.

Ganz eigentlich ist es nicht nur Raimunds Lebenslüge, sondern die einer Viererkonstellation, einer Jugendfreundschaft zwischen Floriane, Inger und den zwei Männern Moritz und Raimund, die sich seit Schulzeiten kennen. Inger kam als Waise von Dänemark nach Deutschland. Sie hatte ihre Eltern bei einem tragischen Segelunfall verloren und hinterließ mit ihrer Schönheit, ihrem dänischen Akzent und ihrer großen Traurigkeit Eindruck. Moritz’, als Sohn gleichermaßen arroganter wie einflussreicher Eltern, die alle Geschäfte am Ort kontrollieren, leidet unter der Dominanz seines Vaters, nutzt jedoch auch seine Herkunft für sich. Raimunds Familie hingegen ist fern von jeglichem Reichtum, er selbst aber fasziniert von Moritz’ Ausstrahlung zwischen Großkotzigkeit und Selbstvertrauen. Moritz und Floriane, die schon immer mit großem Ehrgeiz dem Beruf ihrer Mutter als Zahnärztin nacheifert, sind eigentlich ein Paar. Und auch Raimund und Inger nähern sich an, empfinden eine tiefe Verbindung zueinander, leben etwas zwischen Seelenverwandtschaft und Verliebtheit. Dass dann aber Inger aus einer scheinbaren Laune heraus mit Moritz nach Berlin zieht, verwinden weder Merz noch Floriane. Sie trösten einander, flüchten sich in eine Ersatzbeziehung, heiraten und gründen eine Familie.

Mit behutsamen Schritten führt Bonné in und durch die inneren Abgründe von Raimund Merz, der mit abgebrochenem Studium, aber vorgetäuschtem Abschluss nur haarscharf an einer gescheiterten Existenz vorbei schrammte und seit einigen Jahren die von Kollegen belächelte Position eines auf Insekten spezialisierten Journalisten bekleidet. Die Lebenslüge wird immer umfassender, für Merz nur erträglich durch Verdrängung und unauffälliges Abdämpfen der Traurigkeit im Alkohol. Und seine Ehe mit der ehrgeizigen Flori? Was verbindet ihn noch mit ihr außer Trott, Routine, Gewohnheit? Immerhin schläft er noch mit ihr, einmal die Woche, damit sie nicht Verdacht schöpft, wie weit sie innerlich längst – oder schon immer? – voneinander entfernt sind.

Aus Merz’ Illusionsballon entweicht im Laufe der Erinnerungen langsam, aber stetig die Luft, so dass er, sozusagen als logische Konsequenz, sein Leben hinwirft, das gemeinsame eheliche Konto um einen ordentlichen Betrag erleichtert und zu guter Letzt eine seiner Töchter heimlich von der Klassenfahrt abholt, um mit ihr in Frankreich unterzutauchen. In Lyon leben Vater und Tochter anonym, verwischen bewusst alle Spuren und arbeiten über viele Monate hinweg an einem verrückten, heimlichen Plan. Tochter Lindy scheint ihr neues Leben mehr zu lieben als ihr altes, zeigt keinerlei Bedürfnis, Kontakt mit ihrer Mutter oder ihrer Schwester aufzunehmen. Die verlassene Floriane geht nahtlos vom trauten Eheleben zum Kampf über, verkauft Raimunds geliebtes Auto, schreibt anonyme, diffamierende Briefe an seine Redaktion, um ihm den Rückweg in sein altes Leben unmöglich zu machen. Auch hier ist spürbar, dass Enttäuschung und Verbitterung schon lange unter der Oberfläche gärten.

Merz’ einziger Freund Bruno, ein charmanter, Frauen verschleißender, aber trotzdem irgendwie liebenswerter Kollege aus der Redaktion, will nicht hinnehmen, dass Raimund einfach abgetaucht ist. Er ist wohl der einzige, der hinter dessen Fassade blicken konnte, der wissen will, wer sein Freund „wirklich ist“ und der sich auf die Suche nach ihm begibt.

Das Fesselnde an diesem von der Jury auf die Longlist des Deutschen Buchpreises gesetzten Romans ist sicher einerseits Bonnés präzise Sprache, die ungemein starke Bilder erzeugt, und andererseits die Frage nach der Legitimität der im Leben geschlossenen Kompromisse und der Verdrängung tiefer Sehnsüchte. Lichter als der Tag fragt den Leser nach Lebenslügen oder vermeintlich notwendigen Zugeständnissen. Wenn man ihn lässt, rüttelt dieser Roman vorsichtig an den eigenen Routinen und Überzeugungen über Beziehung, Freundschaft und das Leben an sich.

Larissa Siebicke, autorenbuchhandlung marx & co, Frankfurt