Detail

Drucken

Autor
Isarin, Arthur

Blasse Helden

Untertitel
Roman
Beschreibung

Anton geht es im Moskau der 1990er Jahre wie der Made im Speck. Seine windigen Geschäfte erlauben es ihm, rasch an sehr viel Geld zu kommen, die russischen Frauen liegen ihm zu Füßen und stellen keine Forderungen nach verbindlichen Beziehungen, und Antons Status als Ausländer bietet ihm die nötige Distanz, um die Geschehnisse im Land als wildes Spiel und nicht als brutale Realität wahrzunehmen. Arthur Isarin (das Pseudonym Norris von Schirachs) erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, den die Langeweile nach Moskau treibt. Anton will etwas erleben, und da ist er im Moskau der 1990er Jahre genau richtig.
(ausführliche Besprechung unten)

Verlag
Knaus Verlag, 2018
Format
Gebunden
Seiten
320 Seiten
ISBN/EAN
978-3-8135-0777-5
Preis
22,00 EUR

Zur Autorin/Zum Autor:

Der Name Arthur Isarin ist das Pseudonym von Norris von Schirach. Er wurde 1963 in München geboren und arbeitete nach dem Studium in London, New York und Almaty sowie, von 1993 bis 2003, in Moskau. Dort erlebte er die Jelzin-Jahre, die geprägt waren durch Privatisierungen und dem damit einhergehenden Erstarken der Oligarchen sowie dem Abrutschen großer Teile der Bevölkerung unter die Armutsgrenze.

Norris von Schirach hat einen Sohn und lebt heute abwechselnd in Australien und Rumänien (Bukarest). “Blasse Helden” ist sein erster Roman, den er unter dem Namen Arthur Isarin veröffentlichte.

Zum Buch:

Anton geht es im Moskau der 1990er Jahre wie der Made im Speck. Seine windigen Geschäfte erlauben es ihm, rasch an sehr viel Geld zu kommen, die russischen Frauen liegen ihm zu Füßen und stellen keine Forderungen nach verbindlichen Beziehungen, und Antons Status als Ausländer bietet ihm die nötige Distanz, um die Geschehnisse im Land als wildes Spiel und nicht als brutale Realität wahrzunehmen. Arthur Isarin (das Pseudonym Norris von Schirachs) erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, den die Langeweile nach Moskau treibt. Anton will etwas erleben, und da ist er im Moskau der 1990er Jahre genau richtig.
Anton, ein Deutscher Anfang dreißig, der während der 1990er Jahre in Moskau lebt, erzählt von seiner Arbeit bei einem skrupellosen Rohstoffhändler und von seinen erotischen Begegnung, von durchfeierten Wochenenden, grandiosen Konzerten und Opernaufführungen und von der Beschäftigung mit der russischen Literatur. Die Verwandtschaft Antons mit dem romantischen Typ des „überflüssigen Menschen“, der russischen Variante des Byron’schen Helden, drängt sich im Roman geradezu auf; nicht umsonst hängt in Antons Wohnung ein Lermontov-Porträt. Der Ich-Erzähler Anton greift Episoden dieser Zeit heraus, erzählt mikroskopisch einzelne Begebenheiten und holt dann wieder weiter aus.
Eine dieser Episoden spielt 1993 während der Verfassungskrise, die als letzter Versuch nationalkommunistischer Gegner Jelzins gedeutet wurde, die Sowjetherrschaft wieder zu errichten. Während der Straßenkämpfe geht Anton durch Moskau und fühlt sich zurückversetzt ins Revolutionsjahr 1917, so, als wäre er in einem Sergei-Eisenstein-Film gelandet. Als es beinahe ernst wird und er von einigen als Tschekisten verkleideten Revolutionären angehalten wird, entkommt er knapp, indem er das Spiel mitspielt, als wäre er selbst Darsteller eines Films. Überzeugend versichert er den Bewaffneten, er sei ein deutsches Mitglied der „Zelle Freiheit für Honecker“. Seine Leute lebten in den Wäldern rund um Moskau und warteten nur auf das Zeichen zum Losschlagen.
Wie ein Schauspieler spielt Anton also vergnügt mit im Moskau der 1990er Jahre. Sein Status, sein Geld und die Möglichkeit, das Land jederzeit wieder verlassen zu können, geben ihm die nötige Distanz. Und so kann er die Regel- und Zügellosigkeit dieser Jahre als Freiheit genießen, ohne je existentiell bedroht zu werden.
Das ändert sich Ende der 1990er Jahre mit dem Beginn der Ära Putins. Das Spiel wird ernst: Wo früher Chaos herrschte, Gewalt und Finanzkriminalität den Regeln sehr einfacher Bedürfnisse folgten und ihre Opfer eher zufällig fanden, hat Anton nun das Gefühl, dass die Geschehnisse gelenkt werden. Für Menschen wie ihn, der als windiger Unternehmer die Spielregeln der chaotischen Verhältnisse kannte und Gewinne einstrich, wenn er mitspielte, werden die Regeln plötzlich undurchschaubar und Ereignisse ambivalent. Der russische Geheimdienst gewinnt wieder an Macht und trägt das Seinige zur Veränderung der Situation bei. Ob der tödliche Unfall seines Kollegen ein Auftragsmord war oder tatsächlich ein Unfall, lässt sich nicht endgültig klären. Als auf Anton geschossen wird, hört er die abstrusesten Begründungen, die ihn nicht beruhigen können und ihm das Gefühl geben, in den Fokus verdeckt arbeitender Strippenzieher geraten zu sein. Diese omnipräsente Unsicherheit und ein sehr konkretes Angebot des Geheimdienstes führen zu einem ständigen Gefühl der Bedrohung, das ihn letztlich dazu bringt, Hals über Kopf das Land zu verlassen.
Was wie die ziellose daherschlendernde Geschichte eines Hedonisten begann, stellt sich zuletzt als Bildungsroman heraus: Der Erzähler findet seine Grenzen, moralische Prinzipien, die er nicht zu überschreiten bereit ist. Und er merkt, dass er im veränderten Russland nicht mehr frei leben kann. Dass er ein kostbares Privileg genießt, wenn er das Land, dass ihm eine Zeit lang Leichtigkeit und schnelles Geld bieten konnte, einfach verlassen kann, sobald sich die politischen Umstände ändern, ist ihm sehr wohl bewusst und führt einerseits zu Melancholie, andererseits zu einem Reifungsprozess. Im Zuge dessen werden auch die Naivität des Erzählers und seine zum Teil stereotype Beschreibung Russlands zum Gegenstand der Reflexion. Und so gewinnt der Erzähler als blasser Held zuletzt doch noch an Farbe.

Alena Heinritz, Graz